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In sueßer Ruh

In sueßer Ruh

Titel: In sueßer Ruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. E. Lawrence
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antrat.
    Lee versuchte, im Augenblick nicht an seinen Freund zu denken. Das hätte nämlich bedeutet, auch an Susan denken zu müssen. Er wandte sich seiner Nichte zu.
    »In welche Etage würdest du denn gerne?«
    Auf allen vier Stockwerken des Restaurants befanden sich Sitzplätze in Räumen, die jeweils ein eigenes Gruselthema hatten.
    »Ins Laboratorium«, schrie sie auf und ab hüpfend. Der älteste Sohn der blonden Familie sah sie mit einem scheuen Blick an.
    Die schwere goldene Tür des Restaurants schwang auf, und ein großer, wie eine Leiche aussehender Mann in rotem Satinumhang trat heraus und blinzelte ins Licht. Er war stark geschminkt, mit dunklen Ringen um die kajalumränderten Augen, und aus seinem rechten Mundwinkel triefte ein kleines rotes Rinnsal.
    »Mein Name ist Graf Veracula. Kommen Sie bitte hier entlang?«, deklamierte er mit starkem transsilvanischen Akzent. Die Mädchen der Familie aus dem mittleren Westen starrten ihn an mit Augen groß wie Walnüsse.
    Sie folgten dem Vampir ins Dämmerlicht des Klubs, die schwere Holztür fiel dröhnend hinter ihnen zu. Er führte sie durch einen abgedunkelten Gang. In seinem roten Satinumhang, der hinter ihm herschleifte, fing sich das Licht der Gasleuchten an der Wand, von denen ein schwacher Hibiskusduft ausging. Der gläserne Aufzug war kaputt wie schon beim letzten Mal, als Lee hier gewesen war. Er war einer der großen Favoriten der meisten Kinder, und Kylie bildete da keine Ausnahme. Ihr Gesicht verzog sich zu einem Schmollen, als sie das »Außer Betrieb«-Schild sah. Ihre Miene hellte sich jedoch wieder auf, als sie den Speiseraum im dritten Stock erreichten, der »Das Laboratorium« hieß. Einige Leute gingen im ersten Stock in den »Großen Salon«, wieder andere in die »Bibliothek«. Als sie im dritten Stock ankamen, waren nur noch Lee, Kylie und die dicke blonde Familie übrig.
    »Dritter Stock, Laboratorium«, sagte Graf Veracula und führte sie an der Bar vorbei in den Speiseraum.
    »Was ist denn im obersten Stock?«, fragte der blonde Junge.
    Der Vampir brachte sein Gesicht ganz nah an das des Jungen und stieß ein irres Lachen aus. »Das willst du gar nicht wissen!«
    Im ersten Moment sah der Junge aus, als würde er gleich anfangen zu weinen. Dann überwand er seine Angst und kicherte tapfer.
    »Da ist der Speicher«, fuhr der Graf fort, »da kommen kleine böse Jungs hin.«
    »Nun, das bist du aber nicht, nicht wahr, Earl?«, sagte sein Vater und legte seinem Sohn schützend die Hand auf die Schulter. Die Hand war dick und weich, mit Grübchen auf den Knöcheln. Earl schüttelte energisch den Kopf, ließ den Grafen aber keinen Moment aus den Augen.
    »Wie schöööööön zu hören«, säuselte Graf Veracula, »weil ihr da bestimmt nicht raufgebracht werden wollt – oder?«, sagte er und drehte sich zu Kylie um.
    »Nein!«, gab sie forsch zurück, verschränkte die Arme und reckte herausfordernd das Kinn. Diese Geste erinnerte so sehr an Laura, dass Lee ein wenig flau im Magen wurde.
    Kylie war im Allgemeinen ein gutmütiges Kind und äußerst lebhaft, konnte sich allerdings in einen heftigen Trotzanfall hineinsteigern, wenn man sie ärgerte. Lee wusste nie, was sie möglicherweise aufbringen konnte. Er wusste nur eines: dass sie sich darauf freute, Fionas strengen Ernährungsregeln zu entwischen. Auch wenn Kylies Vater nachsichtiger war, erhob Fiona Einspruch gegen alles, was sie als Junkfood betrachtete. Und ihre Definition, was Junkfood ausmachte, war ziemlich strikt.
    Sie glaubte, es könnte den Magen eines Kindes faulen lassen, und bestand darauf, »gute, frische, herzhafte Kost« für sich und ihre Enkelin zuzubereiten. Sie aßen selten im Restaurant, was gleichermaßen eine Folge von Fionas Genügsamkeit und ihrer Ernährungsprinzipien war. Lee bewunderte die Werte seiner Mutter ebenso wie ihre Disziplin, wünschte jedoch, sie wäre ein wenig flexibler – in dieser Hinsicht und in vielen anderen.
    »Gut, dann lasse ich Sie hier jetzt allein«, sagte der Graf, als beide Grüppchen auf der langen roten Bank entlang der Wand Platz genommen hatten. Er beugte sich vor und raunte dem kleinsten Mädchen der blonden Familie zu: »Lass die Finger vom Eichhörnchenragout.« Und damit glitt er in den Eingangsbereich des Restaurants davon.
    Das Mädchen schaute seine Mutter an. »Gibt es hier wirklich Eichhörnchen?«
    »Nein, Jeannette, ganz bestimmt nicht«, erwiderte diese, ihr Ton ließ allerdings erkennen, dass sie sich dessen nicht

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