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In sueßer Ruh

In sueßer Ruh

Titel: In sueßer Ruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. E. Lawrence
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ganz sicher war.
    »Onkel Lee«, sagte Kylie, »hat meine Mutter sehr gelitten, als sie umgebracht wurde?«
    Er starrte sie an, unsicher, ob er richtig gehört hatte. »Wie bitte?«
    »Billy Romano aus der Schule hat gesagt, dass meine Mutter sehr gelitten haben muss, als sie umgebracht wurde.«
    »Nein, Süße – bestimmt nicht, aber die Wahrheit ist, dass wir nicht wissen, ob sie überhaupt jemand umgebracht hat.«
    Ihre Unterlippe zitterte, während sie mit ihrer Serviette spielte und sie sich ums Handgelenk wickelte. »Aber sie ist tot, oder?«
    Das war eine schwierige Frage. Aller Wahrscheinlichkeit nach war Laura Campbell tot, doch es gab einen winzigen Hoffnungsschimmer, dass es nicht so war. Es war dieser winzige Hoffnungsschimmer, an den sich Lees Mutter klammerte, als würde sie ihre Tochter eines Tages zurückbekommen, wenn sie es sich nur fest genug wünschte. Lee dagegen zog es vor, der Hoffnung den Rücken zuzukehren, bevor sie ihm den Rücken zudrehen konnte. Er hatte früh und in aller Öffentlichkeit resigniert, überzeugt, dass Laura einem Mörder zum Opfer gefallen war, wahrscheinlich einem Serienmörder. Das beruhte teilweise darauf, dass jeder, der sie kannte – selbst flüchtig –, aus dem einen oder anderen Grund als Verdächtiger hatte ausgeschlossen werden können. Damit blieb nur ein Fremder als Mörder übrig, und da sie kein Geld hatte, war Vergewaltigung das wahrscheinlichste Motiv. Und das wiederum deutete auf einen Serientäter hin oder doch zumindest einen, der im Begriff war, zu einem zu werden.
    Dennoch ließ das vollständige Fehlen von Spuren oder irgendwelchen forensischen Beweisen die Polizei am Ende eines langen, verzwirbelten Seils baumeln. Am Ende wurde der Fall zu den Akten gelegt, und der Hoffnungsschimmer in den Herzen der Angehörigen wurde mit den Jahren immer schwächer.
    Lee sah seine Nichte an, die nach wie vor ein kleines Mädchen war, aber schon begann, die Zartheit der Kindheit abzuwerfen wie eine Ente im Frühling ihre überschüssigen Federn.
    »Die Wahrheit ist, dass wir es nicht ganz sicher wissen, aber ich glaube, ja.«
    »Warum hat Großmutter dann gesagt, sie würde noch leben?«
    Lee rieb sich die Stirn, in der es zu pochen anfing. Kylie hätte nie in die Auseinandersetzung zwischen ihm und seiner Mutter geraten dürfen. Doch so war es, und jetzt stellte sie diese herzzerreißende Frage. Er schaute flüchtig auf die Familie aus dem Mittleren Westen und sah, dass der älteste Junge Kylie sehnsüchtige Blicke zuwarf.
    »Wir wissen nicht sicher, was ihr zugestoßen ist, weil sie nie gefunden wurde.«
    »Sie ist also verschwunden?«
    »Ja. Sie ist einfach verschwunden. Und es ist uns nie gelungen, sie zu finden.«
    »Vielleicht ist sie ja von daheim weggerannt«, meinte Kylie hoffnungsvoll. »Janice Collins hat das mal gemacht.«
    Lees Handy klingelte. Die Anruferkennung meldete: UNBEKANNT . Fast wäre er nicht drangegangen, aber seine Neugier siegte. Sobald er sich gemeldet hatte, wünschte er, er hätte es nicht getan. Die schlangenhafte eiskalte Stimme, die ihm inzwischen so vertraut war, klang höhnisch wie immer.
    »Macht es Spaß?«
    Lee erwiderte nichts.
    »Das ist ein ziemlich lustiger Laden für Kinder, nicht wahr? Ihre Nichte muss sich bestens amüsieren.«
    Ihm wurde angst und bange. Seine Nackenmuskeln spannten sich an. Er holte tief Luft und sprach leise ins Handy. »Hören Sie zu, Sie mieser kleiner Feigling, wenn Sie mir was zu sagen haben, warum zeigen Sie mir dann nicht Ihr hässliches Gesicht?«
    Der Mann am anderen Ende kicherte. »Wo bliebe denn da der Spaß? Tschüss für heute.«
    Lee schob das Handy wieder in die Tasche und wischte sich die schwitzenden Handflächen an der Serviette ab. Als der Kellner kam, um ihre Getränkebestellungen aufzunehmen, bestellte er einen doppelten Scotch. Er sah zur blonden Familie am Nachbartisch hinüber. Eltern und Kinder lachten über irgendetwas, das Graf Veracula gesagt hatte. Ihren rosigen, arglosen Gesichtern nach zu urteilen, hatten sie sich noch nie mit Gedanken an einen Mörder herumgeplagt, der die Straßen nach jungen Frauen durchkämmte, um sie zu töten.
    Er hoffte, sie würden es auch niemals tun müssen. Das war schließlich sein Job.

KAPITEL 44
    Die gesamte Fahrt nach Stockton schlief Kylie auf dem Rücksitz. Im Holland-Tunnel war kaum Verkehr, und er brauste durch das Industrieabfallgebiet von Meadowlands. Durch die offenen Autofenster drangen die giftigen Gase von Fabriken. Er dachte

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