In sueßer Ruh
dachte er, und wünschte, sie wäre da.
Er hob sein Glas. »Besser – und dir?«
Als Erwiderung hob auch Malaya ihr Glas und lächelte. »Nicht schlecht.«
»Dienstfrei heute Abend?«
»Genau. Der Laden hier wird sich erst in ein paar Stunden aufheizen.«
»Ich weiß – deswegen komme ich gerne früh her.«
Sie lächelte wieder. »Verstehe. Wenn man einen Junggesellinnenabschied gesehen hat, hat man alle gesehen.«
Er trank einen Schluck und behielt die Flüssigkeit eine Weile auf der Zunge, um die Süße von Rum und tropischen Früchten auszukosten. Dies war eines der Dinge, die seine Arbeit erträglich machten. Einerseits kam es ihm absurd vor, hawaiische Cocktails zu trinken, während eine Familie den Tod einer Tochter betrauerte. Andererseits konnte er ihnen die Trauer nicht abnehmen; alles, was er tun konnte, war zu helfen, den Mörder zu finden.
Er sah sich an der Bar um. Die einzigen Leute außer Malaya und ihm waren zwei Hipster ganz in Schwarz. Der Kleinere von beiden hatte einen rötlichen Igelschnitt und trug eine markante, dunkel umrandete Brille mit rechteckigem Gestell, was zurzeit ein typischer Look für Künstler aus Williamsburg war. Der größere hatte Storchenbeine, die derart eng in schwarzes Leder verpackt waren, dass Lee sich ausmalte, wie er seine Hose abends wie Malerkrepp abzog. Sie tranken Red Stripe, ein gutes jamaikanisches Bier, das im Viertel seit Kurzem in war. Er hielt sie für Filmstudenten oder Fotografen, möglicherweise auch Maler. Beide hatten überdimensionierte, teuer aussehende Zeichenmappen aus Leder bei sich, wie Maler sie verwendeten, um potenziellen Käufern oder Galeristen ihre Arbeiten zu zeigen.
Laura hatte Fotografie geliebt. Sie hatte sich nicht eingebildet, Profi zu sein, aber Lee hielt ihre Bilder für sehr gut. Kurz vor ihrem Verschwinden hatte sie sich in ihrem Keller sogar eine Dunkelkammer eingerichtet. Er nahm einen großen Schluck von seinem Hibiscus Heaven. Warum gegorene Früchte halfen, Herzschmerzen zu bändigen, war ihm noch immer ein Rätsel. Aber er hatte gelernt, im Rätsel zu leben, wie Rilke sagen würde.
Es war eine süße, durchdringende Traurigkeit, wenn er an Laura dachte. Manchmal ähnelte sie dem kurzen Aufflackern eines halb vergessenen Schmerzes, manchmal war sie so lebendig und mächtig wie an dem Tag, als er herausfand, dass sie verschwunden war. Er nutzte sie, um sich in seiner Arbeit weiter anzustacheln. Sooft er sich unfähig fühlte, einen Fall voranzubringen, dachte er an sie und kratzte am Schorf seiner seelischen Wunde, bis sie blutete und brannte und ihn an seine Aufgabe erinnerte, die Mission, der er sein Leben gewidmet hatte.
Sein Handy klingelte, und er fischte es aus seiner Tasche. Die Anruferkennung lautete schlicht: BUTTS . Er klappte das Handy auf.
»Hi – was gibt’s?«
»Tagchen, Doc, ich glaube, wir haben noch eine.«
»Noch ein Opfer?«
»Sieht so aus. In Midtown gibt’s eine Leiche, die mit unserem Kerl in Zusammenhang stehen könnte. Die Frau arbeitet in ’ner Blutbank. Eine Ehrenamtliche ist da aufgekreuzt und hat sie vor ungefähr ’ner Stunde gefunden.«
»Ich bin sofort da.«
Er ließ sich von Butts die Adresse geben, klatschte einen Zwanziger auf den Tresen und ging. Die plötzliche Helligkeit der Sonne blendete ihn, und er taumelte, den zweiten Cocktail bereuend, zurück. Er gab alle Gedanken daran auf, wie er sich den Abend mit Kathy vorgestellt hatte, sprang in großen Sätzen Richtung First Avenue, wo er auf der Suche nach einem Taxi den Arm in die Luft warf.
KAPITEL 47
»Sie heißt Joselin Rosario, und sie war die Leiterin der Blutbank«, sagte Butts. »Der Tatort ist schon fotografiert und das Beweismaterial gesichert. Die einzige verbleibende Aufgabe ist, die Leiche wegzuschaffen«, fügte er mit einem Blick auf ein paar Leute von der Gerichtsmedizin hinzu, die mit einer Trage bereitstanden, um das Opfer mitzunehmen.
Lee sah auf sie hinunter. Ein mitleiderregender Anblick. Joselin Rosario war eine attraktive Latina mittleren Alters, die offensichtlich gut auf sich geachtet hatte. Ihr dichtes schwarzes Haar war zu einem straffen Knoten festgesteckt, der seltsamerweise weitgehend unversehrt war, genau wie ihre Kleidung. Lediglich einige Haarsträhnen hatten sich gelöst. Die perfekt manikürten Nägel wiesen weder Risse noch Bruchstellen auf, und ihre braune Haut war makellos. Das Fehlen von Abwehrverletzungen bedeutete, dass sie ihren Mörder entweder gekannt hatte oder durch einen
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