In tiefster Dunkelheit
»Fragst du mich das als Profiler oder als meine Ex-Geliebte?« Die Worte waren kaum heraus, da hätte er am liebsten den Kopf gegen die Wand geschlagen.
Falls er einen Nerv getroffen hatte, dann konnte sie es verdammt gut verbergen. »Unsere Vergangenheit hat nichts damit zu tun, wie ich diesen Fall sehe oder die Ermittlungen führen werde. Außerdem sind zehn Jahre eine lange Zeit, Dan. Ich bin sicher, dein Ego versteht, dass ich nicht die ganze Zeit Trübsal geblasen und mich gefragt habe, wann ich dich wiedersehe.«
Ein ärgerliches Zucken begann an seinem Kinn. Er lockerte die zusammengebissenen Zähne und zwang sich mit Mühe zur Selbstbeherrschung. »In diesem Fall sind meine Gefühle für Annette ja wohl irrelevant, oder nicht?«
Sie zuckte die Achseln. »Das muss sich noch zeigen. So wie du und ihr Mann gestern aufeinander losgegangen seid, kann ich das jetzt noch nicht mit Sicherheit sagen.«
Runter mit den Samthandschuhen. »Brandon Denton ist ein aufgeblasenes Arschloch, der nie Zeit für seine Tochter hatte, und jetzt, da sie weg ist, will er den liebenden, besorgten Vater spielen. Von ihm werde ich sicher nicht meine beruflichen Fähigkeiten in Zweifel ziehen lassen.«
Jess warf ihm einen von diesen Blicken zu. Einen Blick, der sagte, dass sie sich bestätigt fand. »Ich kann verstehen, warum dir seine Meinung wichtig ist, obwohl er nur ein Zivilist ist, sich wahrscheinlich von seinen Gefühlen leiten lässt und keine Ahnung von den Pflichten deines Amtes hat. Da ist es nur verständlich, dass es auch bei dir starke Gefühle weckt, wenn er dich infrage stellt.«
Die Tatsache, dass sie recht hatte, machte keinerlei Unterschied. Er wurde wütend. »Du meinst, so wie deine Gefühle, deine Situation beim FBI betreffend, deine Entscheidungen in diesem Fall unmöglich beeinflussen können?«
Als ihre Augen sich leicht weiteten, wusste er, dass Patterson zumindest teilweise richtig lag. Oh, Mist. Dan hielt die Hände hoch. »Hören wir auf. Ich hätte das nicht sagen dürfen.«
Jede Gefühlsregung schwand aus ihrem Gesicht. »Aber du hast es gesagt, nicht wahr? Du wolltest mich treffen. Gute Arbeit, Chief.«
Verdammt. »Jess –«
»Ich habe Scheiße gebaut.« Ihre Tasche glitt zu Boden. Sie bückte sich, stopfte Notizblock und Stift hinein und richtete sich dann wieder auf, um ihm direkt in die Augen zu sehen. »Ich hielt mich für unfehlbar. Schließlich hatte ich in zwölf Jahren als Profiler nicht ein einziges Mal falsch gelegen. Meine Analysen stimmten immer haargenau. Der Täter wurde immer gefasst. Meine Fälle wurden immer erfolgreich abgeschlossen.«
Ein weiteres teilnahmsloses, einseitiges Schulterzucken überbrückte die kurze Stille.
»Wir hatten den Typ schon am Wickel. Ich wusste, er war es. Aber ich hätte sein Spiel durchschauen müssen.«
Er wollte sie unterbrechen. Die Qual in ihren Augen, in ihrem Gesicht war fast nicht zu ertragen. Und dennoch war er so selbstsüchtig, alles hören zu wollen. Was immer sie so verletzt hatte, er
musste
es wissen.
»Wir hatten diesen Typ seit fünf Jahren ohne Pause gesucht. Bis ich anonyme Tipps von jemandem bekam, von dem ich glaubte, er sei sein Partner.« Sie schüttelte den Kopf. Ihre Lippen zitterten. »Die anderen waren skeptisch, aber ich nicht. Ich wusste, das war kein Verrückter, der Aufmerksamkeit suchte. Ich konnte es spüren.«
Ihre Hand wanderte an ihr Haar und strich ein Büschel hinter das Ohr. »Ich sah etwas, das sie nicht sehen konnten.« Zum ersten Mal, seit sie angefangen hatte zu sprechen, wanderte ihr Blick zu ihm. »Ich wollte den Mistkerl so sehr fassen, dass ich nicht erkannte, dass er mir absichtlich etwas zeigte, was er vor den anderen verbarg. Als ich ihn befragte, wurde es mir sofort klar. Seine Haltung strahlte so viel Selbstsicherheit aus. Keinerlei Angst in seiner Stimme oder seinem Blick. Stattdessen forderte er mich heraus. Es zu versuchen und den Beweis zu erbringen, dass er es war.«
Sie schüttelte den Kopf. »Allein in dieser Serie folterte, vergewaltigte und ermordete er sechs Frauen. Wir vermuten, dass es in den letzten fünf Jahren noch Dutzende weitere waren. Aber wie in diesem Fall, gab es auch dort nicht die Spur eines Beweises. Er war zu clever. Zu gut organisiert. Keiner der Morde konnte je mit ihm in Verbindung gebracht werden.«
»
Der Spieler
. Oh, mein Gott.« Das war ihr Fall gewesen? Eric Spears, der Verdächtige, der in den Medien viel Beachtung gefunden hatte, war ein kranker Mistkerl.
Weitere Kostenlose Bücher