In tiefster Dunkelheit
Moment wirkte er verwirrt, fasste sich aber schnell wieder. »Sie war Danas Therapeutin im ersten Jahr nach dem Unfall. Der Murray-Junge war die ganze Highschool-Zeit über Teil ihres Lebens gewesen. Sein plötzlicher Tod hat sie schwer getroffen, auch wenn sie ihre Beziehung ein paar Monate vorher beendet hatten.«
Elaine schien länger zu brauchen, um die Bedeutung dessen zu begreifen, was Jess gerade gesagt hatte. »Warum sollte Dr. Sullivan jetzt noch mit Dana reden wollen? Die letzte Sitzung fand vor über zwei Jahren statt.«
»Wir werden die Antwort auf diese Frage für Sie herausfinden, Mrs Sawyer«, versprach Jess. »Möglicherweise haben sie sich ganz zufällig bei Facebook wiedergetroffen. So etwas passiert ständig.«
Die besorgten Eltern nickten gleichzeitig.
Wie furchtbar, dass nun noch eine Familie diesen Alptraum durchmachen muss
, dachte Dan. Schlimm genug, dass schon vier Familien zerstört waren. Wut brannte in seinem Bauch. Wer zur Hölle tat so etwas?
»Ich glaube, fürs Erste habe ich alles, was ich brauche«, sagte Jess. »Wenn Ihnen noch irgendetwas einfällt, das uns bei unseren Ermittlungen weiterhelfen könnte, rufen Sie bitte das Büro des Chiefs an.«
Nun war Dan an der Reihe. »Wir haben Danas Wagen ins Labor bringen lassen, falls die Spurensicherung irgendetwas übersehen haben sollte. Mit Ihrer Erlaubnis nehmen wir auch den Laptop für weitere Untersuchungen mit. Wir hoffen, darauf irgendeine Kommunikation mit jemandem zu finden, der vielleicht weiß, mit wem sie sich beim Blumenladen treffen wollte.«
Dem Zeugen zufolge war Dana freiwillig in den Transporter gestiegen.
»Sie sind sich sicher darüber im Klaren«, erklärte er, »dass Ihre Tochter alt genug ist, um selbst über ihren Aufenthaltsort zu entscheiden, solange es aus freien Stücken geschieht. Doch in den letzten drei Wochen sind vier weitere junge Frauen als vermisst gemeldet worden, alle in ungefähr demselben Alter wie Dana und unter ähnlichen Umständen, das heißt plötzlich und ohne Vorankündigung, nicht einmal gegenüber ihren engsten Freunden.«
»Normalerweise«, fügte Jess hinzu, »vertraut sich ein Mädchen in Danas Alter jemandem an, wenn es eine so weitreichende Entscheidung trifft. Die Kooperation all ihrer Freunde wird nötig sein, genauso wie Ihre.«
»Wir tun alles, was wir können«, versicherte Steve. »Alles. Unsere Freunde suchen in der ganzen Stadt nach ihr.«
In jedem der Vermisstenfälle hatten zahlreiche solcher Suchaktionen stattgefunden, doch leider ergebnislos. Falls Dana tatsächlich Nummer fünf in diesem unbenannten Fall war, war es vermutlich zwecklos, Suchtrupps in die Wälder und durch die Nachbarschaft zu schicken. Aber Dan verstand das Bedürfnis, wenigstens etwas zu tun, auch wenn es umsonst war. Auch er hatte in den ersten achtundvierzig Stunden nach Andreas Verschwinden jeden Stein umgedreht.
Als wäre das Schicksal ihnen wohlgesonnen, waren er, Jess, Wells und Vernon schon wieder auf dem Weg nach draußen, als der Anwalt eintraf. Der Pfarrer fuhr gleich hinter ihm vor.
»Ich begleite Vernon ins Labor«, sagte Wells. »Es sei denn, Sie brauchen mich woanders.«
»Nein, machen Sie damit weiter, Wells«, sagte Dan zustimmend. Sie brauchten bald einen Durchbruch. »Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie etwas finden.« Vorausgesetzt, da war überhaupt etwas, was gefunden werden konnte.
Gina würde stinksauer sein, dass er sein Versprechen nicht hielt und sie nun doch länger auf ihre Exklusivinfo warten musste. Das würde sie bestimmt irgendwann einmal als Druckmittel benutzen, da war er sich sicher.
Während er noch überlegte, wie er Gina wohlwollend stimmen und dafür sorgen konnte, dass Jess sich nicht noch mehr Ärger einhandelte, kletterte sie auf den Fahrersitz seines SUV . Er ging zur Beifahrerseite und öffnete die Tür. »Gibt es einen bestimmten Grund, warum du fahren möchtest?«
Auf der Fahrt hierher hatte er sämtliche Tempolimits überschritten, aber die Jess, die er kannte, hatte noch nie etwas gegen einen kleinen Adrenalinschub gehabt. Doch das war lange her.
»Vielleicht will ich ja nur mal sehen, wie sich so ein extravaganter SUV fährt.« Sie ließ die Hände über das Leder des Steuers gleiten.
Plötzlich hatte Dan das Bedürfnis, seine Krawatte zu lockern, als er daran dachte, wie oft sie genau so über seine nackte Haut gestrichen hatte. Er verbannte die Erinnerung rasch aus seinem Kopf.
»Warum nicht?« Er reichte ihr den Schlüssel und stieg ein.
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