In tiefster Dunkelheit
Andrea durch die Küche und die Hintertür hinausführte. Draußen war immer noch heller Tag. Sofort verspürte sie den beinahe unwiderstehlichen Drang, loszurennen.
Noch nicht!
Er würde sie einholen.
Sie blinzelte ins Sonnenlicht und versuchte sich umzusehen, ohne seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Das Haus war groß und alt, der Garten umgeben von Wäldern. Sie war nicht in der Stadt, begriff sie. Um die Straße zu sehen, hätte sie sich umdrehen müssen.
Mach es einfach!
Sie drehte den Kopf und blickte an dem Haus vorbei. Die Straße war weit entfernt, aber sie konnte sie sehen!
»Jetzt komm, Schatz.« Er zog sie weiter. »Ich bringe dich ja bald zurück zu deinem Mann.«
Er führte sie zu der großen, alten Scheune. Während er die breite Gleittür aufschob, flog ihr Blick über die Bäume am Waldrand. Dicht und Dunkel. Wenn es ihr gelingen sollte, zu entkommen, könnte sie in den Wald rennen und sich verstecken.
Die Scheune war unheimlich und düster. Er zog krachend die große Tür zu, sodass sie in völliger Dunkelheit standen. Angst überkam sie. Ein Licht ging an. Andrea sah sich blinzelnd um. Breite grüne Planen bedeckten etwas, das aussah wie ein Transporter oder vielleicht ein Pkw. An einer Wand standen Regale und eine Arbeitsbank. Doch am anderen Ende der Scheune lag ein großer Haufen Erde. Er zog sie näher zu dem Haufen hin. Ihr Herz setzte beinahe aus, als sie das Loch sah.
Die anderen Mädchen lagen in dem Loch. Gefesselt und geknebelt und viel zu still.
Atme
, befahl sie sich.
Es waren fünf Körper, nicht vier. Das Gesicht der anderen konnte sie nicht sehen. Das Loch war nicht breit genug, sodass sie übereinander lagen. Zwei waren auf die Seite gefallen. Sie konnte ihre Profile erkennen. Dana und Callie.
Sie waren tot! Oh, Gott!
Schrei nicht!
»Hier sind die Handschuhe, Kleines.«
Mit zitternden Händen streifte Andrea die Handschuhe über. Dass er eine Schaufel in der anderen Hand hielt, machte ihr Angst. Wozu wollte er sie nun zwingen?
»Das ist keine leichte Aufgabe, aber es wird uns als Familie zusammenschweißen.« Er hielt ihr die Schaufel hin. »In dieser Familie haben wir keine Geheimnisse voreinander. Wir übernehmen alle gleich viel Verantwortung, um sicherzustellen, dass Tate eine glückliche Zukunft hat. Wir dürfen nicht zulassen, dass jemand das gefährdet. Dies ist jetzt deine Verantwortung, Andrea. Du hast gewonnen und damit das Recht, Tates Braut zu sein. Jetzt musst du dafür sorgen, dass die Verliererinnen uns keinen Ärger machen.«
Andrea legte die behandschuhten Finger um den hölzernen Griff. »Ich verstehe.«
»Braves Mädchen. Mama hatte anscheinend doch recht, was dich angeht.«
Andrea starrte hinunter auf die Körper in dem Loch. Sie waren alle tot. Sie war allein, und niemand würde kommen, um sie zu retten. Sie musste es tun. Erde auf sie zu werfen würde ihnen nun auch nicht mehr wehtun. Sie schob ein wenig Erde auf das Schaufelblatt und warf sie so vorsichtig, wie sie konnte, in das Loch.
Callies Körper erbebte.
Andrea starrte sie an. Kniff die Augen zusammen und öffnete sie wieder, um klarer sehen zu können. Hatte sie sich das gerade nur eingebildet? War es möglich, dass einige von ihnen noch am Leben waren?
Callie zuckte.
Andrea stockte der Atem.
Sie lebte!
Sie biss sich hastig auf die Lippe, um nicht ihren Namen zu rufen.
»Beeil dich«, sagte der Mann. »Du willst Tate doch nicht in deiner Hochzeitsnacht warten lassen.«
Andrea nickte.
Wieder schob sie Erde auf die Schaufel und warf sie in das Loch. Sie zuckte zusammen, als sie mit einem prasselnden Geräusch auf die Körper fiel.
»Wenn du müde wirst, helfe ich dir«, versprach er.
Andrea drehte sich zu ihm um und lächelte. Ihre Finger fassten den Holzgriff fester. »Danke, Daddy.«
Er lächelte zurück.
Sie hob die Schaufel, warf wieder Erde hinein. Wappnete sich. Dann holte sie tief Luft, umklammerte den Holzgriff und schwang die Schaufel mit aller Kraft.
Sie traf ihn in den Magen. Er kippte nach vorn.
Andrea stolperte von der Wucht rückwärts.
Er richtete sich auf. Stürzte sich auf sie. Sie holte wieder aus. Das Metall des Schaufelblatts traf seinen Schädel. Er wankte. Sie schlug erneut zu. Traf zum zweiten Mal seinen Kopf. Er fiel auf die Knie.
Andrea warf die Schaufel weg und rannte los. Zerrte an der Tür, um sie einen Spalt zu öffnen, durch den sie seitwärts hinausschlüpfen konnte.
Zur Straße konnte sie nicht, die Frau könnte sie sehen.
In den
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