In tödlicher Gefahr
gefunden hatte. Er brauchte nicht viel, eine Couch, eine Dusche und ein Sechserpack.
Die Manhattan Towers waren ein zweiundsiebzigstöckiges Hotel, in dem – nach der überfüllten Lounge am Ende der Lobby zu urteilen – hauptsächlich Geschäftsmänner und -frauen abstiegen. Dass es mitten in der Woche war, schien die New Yorker nicht von ihrem liebsten Zeitvertreib abzuhalten – Geschäfte über eisgekühlten Martinis abzuschließen.
Nach ein paar Minuten Wartezeit fand Ian einen Tisch, bestellte ein Bier und beobachtete seine Schwester. Sie servierte die Drinks an der Bar mit einem Lächeln, das die Antarktis zum Schmelzen gebracht hätte.
Er musste zugeben, dass sie wesentlich besser aussah als bei ihrer letzten Begegnung. Sie hatte endlich die lästigen fünfzehn Pfund verloren, und obwohl sie nicht mehr die Kleidergröße trug wie in ihrer Jugend, wirkte sie schlank und fit. In der engen schwarzen Hose und dem knappen weißen Hemd sah sie sogar sexy aus. Das blonde Haar trug sie glatt und gerade geschnitten, so dass die hässliche Narbe auf der rechten Wange verdeckt wurde. Warum sie das verdammte Ding nicht hatte wegmachen lassen, obwohl ihr reicher Ehemann, ein Ex-Rockstar, sich die Operation hätte leisten können, verstand er allerdings nicht.
Sie war kaum geschminkt, nur ein wenig Rouge und ein Hauch Lippenstift. Das machte sie jünger als fünfundvierzig. Make-up hatte sie ohnehin nie nötig gehabt. Sie gehörte zu den wenigen glücklichen Frauen, die beim Aufwachen schon toll aussahen und im Verlauf des Tages immer hübscher wurden. Deshalb war sie in der Schule auch von allen Jungs umschwärmt worden.
Er beobachtete sie weiter, schlürfte den Trail Mix, den ihm die Kellnerin gebracht hatte, und fragte sich, wie Liz reagieren würde, weil er wieder Geld brauchte. Wie er sie kannte, würde sie ihm wahrscheinlich ins Gesicht lachen und ihn an die vielen Male erinnern, da sie ihm etwas geborgt und es nie zurückbekommen hatte.
Aber vielleicht überraschte sie ihn auch. Liz war ein komischer Vogel, eine Einzelgängerin, die wenig redete und sich nie beklagte. Nicht mal, als ihr Vater Irene DiAngelo geheiratet hatte. Er hatte daran einiges auszusetzen gehabt, doch Liz, auch nicht gerade erfreut, hatte die Dinge genommen, wie sie kamen. Sie war einfach nicht der Typ, sich über so etwas aufzuregen.
An ihrem achtzehnten Geburtstag hatte sie ihren Anteil am Rest vom väterlichen Erbe eingesackt und war nach New York City abgehauen. Dort hatte sie Jude Tilly kennen gelernt und geheiratet. Er war der Leadsänger einer Band, die damals so populär war, dass alle fünf Mitglieder in kürzester Zeit Millionäre wurden. Liz und Jude hatten eine Weile das typische Jetsetleben geführt, flogen um die Welt, gaben Feste in ihrem Penthouse in Manhattan und warfen das Geld zum Fenster hinaus.
Dann brach die Band eines Tages auseinander, und Judes Traum, als Solist an der Spitze der Hitlisten zu bleiben, zerplatzte. Dies traf ihn so schwer, dass er zu trinken begann und Drogen nahm. Nach ein paar Jahren war er pleite. Liz, die verzweifelt versuchte, ihren Mann wieder auf den rechten Weg zu führen, entschied, dass ein Baby genau das Richtige für ihn wäre. Dann folgte eine weitere Hiobsbotschaft. Sie konnte keine Kinder bekommen.
Anstatt seine Frau zu trösten, fand Jude es jedoch an der Zeit, die Scheidung einzureichen. Nach zehn gemeinsamen Jahren und mehr Kränkungen, als sie verdiente, war ein Sommerhaus im Hinterland des Staates New York das Einzige, was Liz von ihrem berühmten Ehemann blieb. Oder lag es in den Berkshires? Ian war nicht sicher. Man hatte ihn nie dorthin eingeladen.
Da Liz nicht mehr auf Jude aufpasste, geriet sein Leben völlig außer Kontrolle. Drei Monate nach der Scheidung starb er an einer Überdosis.
Eine Weile war sie untröstlich gewesen, doch schließlich gewann der Überlebenswille die Oberhand, und sie nahm ihr Leben wieder auf.
Als er ihr jetzt zuschaute, wie sie mixte, schüttelte und einschenkte, hätte er geschworen, dass sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht hatte. Aber warum überraschte ihn das? Liz war der Typ von Frau, der alles konnte, wenn er es nur wollte.
Und da sie so gut war, schwamm sie wahrscheinlich geradezu in Trinkgeldern.
Er nahm noch einen Schluck Bier, holte einen Zettel aus der Tasche, schrieb eine kurze Notiz und winkte der Kellnerin.
„Noch ein Bier, Sir?“ fragte sie.
„Noch nicht.“ Er gab ihr den Zettel und lächelte charmant. „Tun
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