In tödlicher Gefahr
erwartet, dass die Unterhaltung mit ihrem neunjährigen Sohn so anstrengend werden würde. „Ich könnte mit Ians Freundin reden und fragen, was sie vorhat.“
Tatsächlich stand ein Besuch bei Rose Panini ohnehin als Nächstes auf ihrem Programm. Nicht wegen der Beisetzung, sondern weil sie erfahren wollte, wie viel Miss Panini wusste und ob dies ein Grund zur Sorge war. Außerdem gab es da noch das Original des Briefes ihrer Mutter, das sie irgendwie finden musste.
„Ich schlage vor, du fängst mit deinen Hausaufgaben an. Tiffany wird jede Minute hier sein.“ Um weitere Fragen zu vermeiden, stand sie auf und erwartete fast, dass Ben sich erkundigte, ob er mit zur Beerdigung gehen könne. Zu ihrer Erleichterung tat er es nicht.
21. KAPITEL
D as Clearwater Motel war ein einstöckiges Gebäude mit hellgrünen Seitenwänden und einer kleinen Rasenfläche vor dem überdachten Eingang. Vom Restaurant bis hierher war es eine zehnminütige Fahrt. Der Carnegie See, wo der Mord passiert war, lag einen kurzen Spaziergang entfernt.
Abbie hatte noch in Bens Gegenwart, während er Hausaufgaben machte und sie beobachtete, Rose Panini angerufen, sich vorgestellt und gefragt, ob sie vorbeikommen könne. Die Frau hatte sie unbedingt kennen lernen wollen und sich anscheinend aufrichtig gefreut.
„Ich muss erst um fünf zur Arbeit“, hatte sie hinzugefügt. „Wir haben reichlich Zeit zum Reden.“
Die Auskunft, dass sie um fünf zur Arbeit müsse, hatte Abbie etwas bedenklich gestimmt. Warum hatte Rose sich der Mühe unterzogen, einen Job zu suchen, obwohl Ian Princeton doch verlassen wollte, sobald er das Geld hatte? Vielleicht wusste sie von seinem Erpressungsplan, war genauso gierig und rücksichtslos wie er und hatte vor, dort weiterzumachen, wo er aufgehört hatte?
Abbie versuchte, nicht weiter darüber nachzudenken. Es gab viele Gründe, warum Rose Panini in Princeton bleiben wollte. Möglicherweise hatte sie Freunde oder Verwandte hier. Vielleicht hatte sie sich auch in die Gegend verliebt. Das passierte vielen Besuchern der Universitätsstadt, weil sie kultiviert und flippig zugleich war.
Die Frau, die die Tür des Motelzimmers öffnete, entsprach nicht Abbies Erwartung. Offensichtlich hatte sie geweint. Und als sie die Besucherin sah, rollten ihr erneut Tränen über die Wangen.
„Tut mir Leid, wenn ich in einem ungünstigen Moment komme“, entschuldigte Abbie sich.
Rose schüttelte den Kopf, schlang unerwartet die Arme um Abbie und hüllte sie in eine Wolke „Obsession“ ein. Leise Schluchzer schüttelten die Frau für etwa eine halbe Minute, in der Abbie sich vollkommen hilflos fühlte.
Schließlich wich Rose zurück und ließ sie eintreten. „Verzeihen Sie mir, ich bin gerade aus dem Leichenschauhaus gekommen.“ Sie zog ein Papiertuch aus einem Karton auf der Kommode und putzte sich laut die Nase. „Ian auf dieser kalten Bahre liegen zu sehen hat mich schwer erschüttert. Es hat mir die letzten Zweifel genommen, ob er wirklich tot ist.“ Sie presste das zusammengeknüllte Papiertuch erst gegen ein Auge, dann gegen das andere.
Dieser Ausbruch tiefer Trauer brachte Abbie ein wenig aus der Fassung. Es war ihr unbegreiflich, dass ein so widerwärtiger Mensch wie Ian geliebt worden war. Entweder hatte er sein wahres Naturell geschickt vor seiner Freundin verborgen, oder sie war sehr tolerant.
„Es tut mir Leid, Miss Panini“, sagte sie und meinte es aufrichtig.
„Nennen Sie mich Rose, okay?“ Sie schniefte. „Ich bin froh, dass Sie angerufen haben. Ich wollte Sie kennen lernen, wusste aber nicht, wie ich es anstellen sollte.“ Sie setzte sich auf die Bettkante. Ihr enger schwarzer Rock schob sich hoch und entblößte kräftige Schenkel. Eine weiße Bluse und schwarze Sandalen komplettierten ihren Aufzug, und Abbie vermutete, dass Rose irgendwo kellnerte.
„Ich wusste nicht, dass Ian eine Freundin hatte, bis Detective Ryan es mir sagte.“ Sie setzte sich in den Sessel beim Fenster, sah sich rasch um und fragte sich, ob der Brief ihrer Mutter hier irgendwo lag oder ob Ian ihn mit an den See genommen hatte. Hatte die Polizei ihn vielleicht bei der Leiche gefunden? Wie auch immer, ihn zu bekommen würde keine leichte Aufgabe werden.
„Können Sie sich an jemanden wenden, der Sie unterstützt?“ fragte sie und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Rose. „Einen Freund? Familienangehörige?“
Rose schüttelte den Kopf. „Ich habe nur eine Cousine in Toledo. Und meine Freunde haben
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