In tödlicher Gefahr
„Sie arbeiten allein?“
„Ja, Sir, allerdings“, bestätigte er stolz. „Reparaturen, Abschleppen und Buchführung.“ Er deutete auf ein Schild, auf dem für gebrauchte Reifen ab 9,99 Dollar geworben wurde. „Ich mache sogar meine Werbung selbst.“
John hatte keinen Grund, dem Mann nicht zu trauen, denn er wirkte aufrichtig und war offenbar ein harter Arbeiter. Da er von Natur aus skeptisch war, ließ er die Sache jedoch nicht auf sich beruhen, sondern gab dem Mechaniker seine Karte. „Rufen Sie mich an, wenn Ihnen doch etwas einfällt. Oder falls Sie Garcia in der Gegend sehen.“
Enrique nahm die Karte entgegen. „Was hat er angestellt, Detective?“
„Er wird im Zusammenhang mit einem Mord gesucht. Das Opfer ist ein Mann, den Garcia aus Toledo kannte – Ian McGregor. Sie haben vielleicht davon gelesen.“
Enrique schien ein wenig aus der Ruhe zu geraten. Leicht öffnete er den Mund, und sein Gesicht nahm eine gräuliche Färbung an. Vielleicht war er nur besorgt, dass ein Mörder in seiner Gegend herumlief, aber es könnte auch mehr dahinter stecken. John beschloss, dass es besser wäre, Enrique diskret im Auge zu behalten.
Als er sich zum Gehen wandte, stieß er mit einem jungen Mann zusammen, der eine frappante Ähnlichkeit mit Ricky Martin hatte, dem Popidol, auf das alle Mädchen in Jordans Klasse ganz wild waren. Er nickte ihm kurz zu und ging.
Tony wartete, bis der Mann außer Sichtweite war, ehe er die Luft ausatmete, die er ungewollt angehalten hatte. Er hatte genug mitgehört, um zu wissen, dass der Mann ein Detective der Polizei war und Arturo suchte. Seine Ahnung hatte sich also bewahrheitet. Die Bullen hatten Arturos Spur über das dumme Telefonat aufgenommen, das er mit McGregors Handy gemacht hatte.
Mit zittrigen Fingern fuhr Tony sich durch das Haar. Allmächtiger! Die Situation wurde mit jeder Minute brenzliger. Das Schlimme war nur, dass er als Einziger genügend Verstand besaß, sich deshalb Sorgen zu machen. Seit Arturo ihren Wagen in der Garage einer Latina versteckte, die er vor einigen Nächten kennen gelernt hatte, ging es bei ihm nur noch um Abbie DiAngelo und wie er an ihr Geld kommen könnte.
Enrique nahm einen öligen Lappen von der Werkbank und kam auf ihn zu. „Ist das wahr?“ fragte er nervös und wischte sich die Finger ab. „Dein Bruder hat einen Mann umgebracht?“
Es zuzugeben hieße, Arturos Todesurteil zu unterzeichnen. Tony schüttelte heftig den Kopf. „Das ist doch Schwachsinn, Enrique. Arturo hat niemanden umgebracht.“
„Der Detective behauptet was anderes. Er hat mir sogar Arturos Bild gezeigt. Und er hat mir euren Wagen beschrieben.“ Er warf den Lappen wieder auf die Werkbank. „Du hast mir erzählt, dein Bruder sei vor den State Troopern abgehauen, weil seine Fahrerlaubnis abgelaufen war. Aber wenn da mehr ist …“
„Ist es nicht, Enrique. Ich schwöre.“ Schweiß lief Tony den Rücken hinab und durchweichte sein Hemd. „Der Polizist irrt sich. Oder er sucht bloß einen Sündenbock. So was passiert andauernd. Man nennt das ethnische Profilerstellung. Du weißt, wie die
gringos
sind.“
Enrique schien über die Jahre seinen Teil an Diskriminierung abbekommen zu haben, denn er überdachte die Bemerkung und wirkte unentschlossen. Tony betete, dass er sie nicht zum Ausziehen aufforderte. Wohin sollten sie denn gehen?
„Also“, begann Enrique nach einer Weile, „es macht mir nichts, euch Brüdern zu helfen. Gott weiß, ich habe seinerzeit auch Hilfe gebraucht. Aber haltet euch an die Gesetze. Ich will keinen Ärger.“
„Wirst du nicht bekommen. Ich gebe dir mein Wort. Ich bitte dich nur, dass du uns noch ein paar Tage hier wohnen lässt.“
„Und dann geht ihr, okay?“
„Versprochen.“
Das hispanische Viertel an der Südseite Trentons war eine kleine, eng verwobene Gemeinde mit größtenteils hart arbeitenden, gesetzestreuen Bürgern, die kleine Geschäfte besaßen, wie Johns guter Freund Manuel Cabrero.
John hatte Manuel vor vier Jahren kennen gelernt, nachdem in Princeton ein Schnapsladen überfallen und der Besitzer erschossen worden war. Einen der Räuber hatte man als Manuels damals sechzehnjährigen Sohn Freddy identifiziert.
Trotz heftigen Leugnens wurde Freddy, der schon früher mit dem Gesetz in Konflikt geraten war, festgenommen. John mochte den Jungen. Er kam aus guter Familie und versuchte, sein Leben wieder in ordentliche Bahnen zu lenken. Da John nicht überzeugt gewesen war, dass sie den Richtigen hatten,
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