In Tödlicher Mission
– indem sie diese in ihren Nebenstraßen versteckt, sie für Massenszenen auf den Piazzas einsetzt oder in Gondeln verstaut –, ist es immer noch besser, Venedig mit lediglich einem Minimum an Pauschalurlaubern und Touristen in Lederhosen zu teilen.
Bond verbrachte den nächsten Morgen damit, durch die Seitengassen zu schlendern, in der Hoffnung, damit mögliche Verfolger zu entlarven. Er besichtigte ein paar Kirchen – nicht um ihr Inneres zu bewundern, sondern um zu sehen, ob ihm jemand durch den Haupteingang folgte, bevor er durch einen Nebeneingang wieder hinausging. Bond besuchte das Caffè Florian, bestellte einen Americano und lauschte einem Paar französischer Kultursnobs, das über die Unausgewogenheit der den Markusplatz umgebenden Fassaden diskutierte. Bond folgte einer spontanen Eingebung, kaufte eine Postkarte und schickte sie an seine Sekretärin, die einmal mit der Georgian Group, einer Organisation zum Schutz georgianischer Gebäude und Gärten, nach Italien gereist war und Bond immer wieder daran erinnerte. Auf die Postkarte schrieb er: »Venedig ist wundervoll. Habe bis jetzt den Bahnhof und die Börse besichtigt. Alles äußerst ästhetisch. Heute Nachmittag geht es zu den städtischen Wasserwerken und dann in einen alten Brigitte Bardot im Scala. Haben Sie schon mal von einem hübschen Lied namens ‚O Sole Mio‘ gehört? Es ist sehr romantisch, wie alles hier. JB«
Zufrieden mit seiner Eingebung nahm Bond ein frühes Mittagessen ein und kehrte in sein Hotel zurück. Er schloss seine Zimmertür ab, zog sein Jackett aus und strich über die Walther PPK. Er sicherte die Waffe und übte ein, zwei Mal, sie zu ziehen, bevor er sie wieder ins Holster steckte. Es war Zeit für seine Verabredung. Er ging zur Anlegestelle und bestieg um zwölf Uhr vierzig das Vaporetto nach Alberoni, das hinter der funkelnden Lagune verborgen lag. Dann setzte er sich auf einen Platz im Bug und fragte sich, was passieren würde.
Vom Landungssteg in Alberoni aus, auf der Venedigseite des Lidos, begann ein langer staubiger Weg über die Landenge zum Bagni Alberoni an der Adria. Diese Spitze der berühmten Nehrung war eine seltsam verlassene Welt. Anderthalb Kilometer weiter begannen die luxuriösen Stuckvillen und insolventen Bauruinen, doch hier befand sich lediglich das winzige Fischerdorf von Alberoni, ein Sanatorium für Studenten, eine verlassene Versuchsstation der italienischen Marine und einige riesige grasüberwachsene Geschützstellungen aus dem letzten Krieg. Im Niemandsland des Zentrums dieser schmalen Landzunge lag der Golf du Lido, ein Golfplatz, dessen bräunliche, sanft hügelige Fairways sich um die Ruinen antiker Festungen schlängelten. Nicht viele Besucher kamen nach Venedig, um Golf zu spielen, und das Projekt wurde von den Grandhotels des Lidos hauptsächlich deswegen am Leben erhalten, weil es einen schicken Eindruck machte. Der Golfplatz war von einem hohen Drahtzaun umgeben, als ob sich dahinter etwas sehr Wertvolles oder Geheimes befände, was zusätzlich durch einschüchternde Verbotsschilder betont wurde. Über diese eingezäunte Enklave hinaus waren die umliegenden Büsche und Dünen nicht mal von Minen geräumt worden, und zwischen dem alten, verrosteten Stacheldraht hingen Schilder, auf denen unter einem grob mit Schablone gemalten Schädel und gekreuzten Knochen die Aufschrift MINE. PERICOLO DI MORTE prangte. Das ganze Areal wirkte seltsam und melancholisch, ein krasser Gegensatz zu dem fröhlichen Treiben in Venedig, das weniger als eine Stunde entfernt auf der anderen Seite der Lagune lag.
Bond war leicht ins Schwitzen gekommen, bis er die Strecke über die Nehrung zum Strand zurückgelegt hatte. Während er sich orientierte, stellte er sich einen Moment lang unter den letzten der Akazienbäume, die den staubigen Weg säumten, um sich abzukühlen. Vor ihm befand sich ein wackliger Torbogen aus Holz, auf dem in verblasster blauer Farbe BAGNI ALBERONI stand. Dahinter waren Reihen gleichermaßen maroder Holzkabinen zu sehen, und dann hundert Meter Strand und das stille blaue Wasser. Es waren keine Badegäste da, und der Strand schien geschlossen zu sein, aber als er durch den Torbogen ging, hörte er den blechernen Klang eines Radios, das neapolitanische Schlager spielte. Die Musik kam aus einer baufälligen Hütte, auf der Werbung für Coca-Cola und verschiedene italienische Limonaden prangte. An der Wand lehnten Liegestühle, und davor standen zwei Tretboote und das halb aufgeblasene
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