In Tödlicher Mission
dreieinhalb Metern Tiefe stoppte der Rochen zum gefühlt hundertsten Mal. Bond hielt ebenfalls inne und trat sanft Wasser. Vorsichtig hob er den Kopf und ließ das Wasser aus seiner Brille fließen. Als er wieder nach unten sah, war der Rochen verschwunden.
Bond hatte eine Champion-Harpune mit doppeltem Gummi und einer scharfen dreizackigen Speerspitze. Es war eine Waffe mit geringer Reichweite, die sich für die Jagd im Riff bestens eignete. Bond entsicherte die Harpune und schwamm langsam vorwärts. Seine Flossen bewegte er dabei gerade unterhalb der Wasseroberfläche, um kein Geräusch zu verursachen. Er sah sich um und versuchte, den trüben Horizont der Lagune mit seinem Blick zu durchdringen. Er suchte nach einer großen lauernden Gestalt. Er wollte vermeiden, dass ein Hai oder ein Barrakuda sein Attentat auf den Rochen bemerkte. Fische schrien manchmal, wenn sie verletzt waren, und selbst wenn nicht, konnten das aufgewühlte Wasser und das Blut die Aasfresser anlocken. Aber es war kein lebendes Wesen zu sehen, und der Sand erstreckte sich in die trüben Bereiche der Lagune wie die nackten Bretter einer Bühne. Nun sah Bond den schwachen Umriss auf dem Boden. Er schwamm direkt darüber, schwebte reglos an der Oberfläche und sah hinunter. Im Sand war eine sanfte Bewegung zu erkennen. Zwei winzige Sandfontänen tanzten über den nasenflügelartigen Atemlöchern. Hinter den Löchern war die leichte Körperwölbung des Rochens zu sehen. Dort lag das Ziel. Etwa zweieinhalb Zentimeter hinter den Löchern. Bond schätzte die möglichen Aufwärtsbewegungen des Stachels ab, bewegte seine Waffe langsam nach unten und drückte auf den Abzug.
Unter ihm explodierte der Sand, und einen bangen Moment lang konnte Bond nichts mehr sehen. Dann spannte sich das Harpunenseil und der Rochen erschien. Er strebte mit aller Macht von ihm fort, während sein Schwanz immer wieder wütend über den Körper peitschte. Am Ende des Schwanzes konnte Bond die Giftstacheln sehen. Solche Stacheln sollten Odysseus getötet haben, und laut Plinius konnten sie einen Baum zerstören. Im Indischen Ozean, wo die Gifte der Meeresbewohner am stärksten sind, bedeutet ein Kratzer durch den Stachel des Rochens den sicheren Tod. Während Bond den wild kämpfenden Fisch an der strammen Leine hielt, näherte er sich ihm vorsichtig. Er schwamm auf eine Seite, um das Seil aus der Reichweite des umherpeitschenden Schwanzes zu halten, der es mit Leichtigkeit durchtrennen könnte. Die alten Sklaventreiber des Indischen Ozeans hatten den Schwanz der Stachelrochen als Peitsche eingesetzt. Inzwischen war auf den Seychellen der bloße Besitz verboten, aber sie wurden in den Familien weitergegeben, um damit treulose Ehefrauen zu bestrafen. Und wenn es hieß, dass diese oder jene Frau
a eu la crapule
– wobei
crapule
der hiesige Name für den Stachelrochen war –, bedeutete das quasi, dass diese Frau frühestens in einer Woche wieder laufen konnte. Nun wurden die Bewegungen des Schwanzes immer schwächer. Bond schwamm um den Rochen herum und zog ihn hinter sich her in Richtung Ufer. Im seichten Wasser wurde der Fisch schlaff, und Bond schleifte ihn aus dem Meer auf den Strand. Aber er hielt immer noch Abstand. Das war auch gut so. Denn plötzlich hüpfte das riesige Tier in die Höhe, wohl in der Hoffnung, seinen Feind damit zu übertölpeln. Doch Bond sprang beiseite, und der Rochen fiel auf den Rücken. So lag er da und hatte den weißen Bauch der Sonne zugedreht, während die große, hässliche Sichel des Munds nach Wasser saugte.
Bond betrachtete den Stachelrochen und überlegte, was er als Nächstes tun sollte.
Ein kleiner, dicker Weißer in khakifarbenem Hemd und ebensolcher Hose kam unter den Palmen hervor und marschierte durch Seetrauben und Treibgut auf Bond zu. Als er nah genug war, rief er fröhlich: »Der alte Mann und das Meer! Wer hat denn wen gefangen?«
Bond drehte sich um. »Natürlich war es der
einzige
Mann auf der Insel, der keine Machete bei sich trägt. Fidele, sei so gut und ruf einen deiner Männer. Dieses Tier will einfach nicht sterben, und mein Speer steckt noch in ihm.«
Fidele Barbey, der jüngste der unzähligen Barbeys, denen auf den Seychellen fast alles gehörte, gesellte sich zu ihm und betrachtete den Rochen. »Ein guter Fang. Du hattest Glück, dass du die richtige Stelle getroffen hast, sonst hätte er dich über das Riff gezogen und du wärst deine Harpune los gewesen. Die brauchen furchtbar lange, um zu sterben. Aber
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