In Tödlicher Mission
fünfundsechzig Stundenkilometern. Worauf wollen Sie hinaus, Commander?«
»Ich habe mich nur gefragt, ob Sie schon entschieden haben, ob es sich bei dem Täter um einen Profi oder einen Amateur handelte. Wenn Ihr Mann nicht versucht hat, ihm zu entkommen, und wir davon ausgehen, dass er den Mörder in seinem Rückspiegel gesehen hat – und ich stimme Ihnen zu, dass das nur eine Möglichkeit ist –, legt das den Schluss nahe, dass er den Mann, der ihn verfolgte, eher als Freund denn als Feind betrachtete. Das könnte bedeuten, dass der Täter eine Art Tarnung trug, die zur hiesigen Organisation passte – etwas, das Ihr Mann selbst zu dieser frühen Stunde akzeptieren würde.«
Auf Colonel Schreibers glatter Stirn hatte sich eine kleine Falte gebildet. »Commander«, in seiner Stimme lag ein Hauch von Anspannung, »wir haben diesen Fall selbstverständlich aus sämtlichen Blickwinkeln betrachtet, einschließlich des Punktes, den Sie gerade erwähnten. Gegen Mittag des gestrigen Tages erklärte der kommandierende General diese Angelegenheit zu einem Notfall, woraufhin diverse Sicherheitskomitees aufgestellt wurden, und von diesem Moment an ist jeder Gesichtspunkt, jeder noch so kleine Hinweis systematisch untersucht worden. Und ich kann Ihnen versichern, Commander«, der Colonel hob eine ordentlich manikürte Hand und ließ sie mit sanftem Nachdruck auf die Schreibtischunterlage sinken, »dass jeder Mann, der zum jetzigen Zeitpunkt noch einen auch nur im Entferntesten neuen Gedanken zu diesem Fall äußert, sehr nah mit Einstein verwandt sein muss. Wir haben nichts, ich wiederhole, nichts, was uns in diesem Fall weiterhelfen könnte.«
Bond lächelte mitfühlend und stand auf. »Wenn das so ist, Colonel, werde ich heute Abend nicht länger Ihre Zeit verschwenden. Wenn Sie mir bitte einfach die Protokolle der diversen Besprechungen aushändigen würden, damit ich mich auf den neuesten Stand bringen kann, und einer Ihrer Männer so freundlich wäre, mir den Weg zur Kantine und zu meinem Quartier zu zeigen ...«
»Natürlich, natürlich.« Der Colonel betätigte eine Klingel. Ein junger Adjutant mit Bürstenhaarschnitt kam herein. »Proctor, zeigen Sie dem Commander bitte sein Zimmer im VIP-Flügel und danach bringen Sie ihn zur Bar und zur Kantine.« Er wandte sich an Bond. »Ich werde dafür sorgen, dass die gewünschten Papiere für Sie bereitliegen, nachdem Sie etwas gegessen und getrunken haben. Sie werden sich in meinem Büro befinden. Sie dürften sie natürlich nicht mitnehmen, aber Sie werden alles, was Sie brauchen, direkt nebenan finden und Proctor wird Sie über alles informieren können, was möglicherweise fehlt.« Er streckte seine Hand aus. »Okay? Dann treffen wir uns morgen früh wieder.«
Bond wünschte ihm eine gute Nacht und folgte dem Adjutanten nach draußen. Als er durch die neutral gestrichenen und neutral riechenden Flure lief, kam er zu dem Schluss, dass dies vermutlich der hoffnungsloseste Auftrag war, den er je erhalten hatte. Wenn die besten Sicherheitsexperten aus vierzehn Ländern nicht weiterkamen, welche Chance hatte er dann? Als er an diesem Abend in dem spartanischen Besucherquartier zu Bett ging, hatte Bond beschlossen, dem Fall noch ein paar Tage zu geben – hauptsächlich deswegen, weil er so lange wie möglich mit Mary Ann Russell in Kontakt bleiben wollte – und das Ganze dann hinzuschmeißen. Mit diesem Entschluss im Kopf fiel er sofort in einen tiefen, ruhigen Schlaf.
Nicht zwei, sondern vier Tage später, als die Sonne gerade über dem Wald von St. Germain aufging, lag James Bond auf dem dicken Ast einer Eiche und beobachtete eine kleine leere Lichtung, die tief zwischen den Bäumen lag, die an die D 98 grenzten – die Straße, auf der der Mord geschehen war.
Er war von Kopf bis Fuß mit dem Tarnanzug eines Fallschirmspringers bekleidet – grün, braun und schwarz. Selbst seine Hände waren mit Tarnfarbe bedeckt, und über den Kopf hatte er eine Kapuze mit Schlitzen für Augen und Mund gezogen. Es war eine gute Tarnung, die sogar noch besser sein würde, wenn die Sonne höher stand und die Schatten dunkler wurden. Dann würde man ihn vom Boden aus nicht mehr sehen können, selbst wenn man direkt unter dem hohen Ast stand.
Zu dieser Situation war es folgendermaßen gekommen. Die ersten zwei Tage bei SHAPE hatten sich als die erwartete Zeitverschwendung erwiesen. Bond hatte nichts herausgefunden und es lediglich geschafft, sich mit seinen hartnäckigen Fragen ein
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