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In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Gefuchtel, sein Augenrollen, all seine Merkwürdigkeiten gaben ihm das Gepräge eines Irren. Doch wenn dieser Irre seine vernünftigen Gedanken vortrug – mochte sich auch alles, was er sagte, gräßlich anhören –, dünkte man sich weniger klug und weniger selbstsicher.
    Ich musterte abwechselnd Carajac und Merdanson. Keiner zeigte sich zu Widerspruch geneigt, Carajac schwieg wie sonst auch, und Merdanson fürchtete, wie ich, im Disput zu unterliegen. Im übrigen hatten weder Carajac noch Cabassus bisher ein Wort über den Grund unseres Hierseins verloren.
    »Ich glaube auch nicht an das Jüngste Gericht und an die Auferstehung«, sagte Cabassus. »Die Toten bleiben ewig an dem Fleck, wo wir sie verscharren. Von ihrem zerfressenen Fleisch bleibt ein Skelett, das am Ende, ebenfalls zernagt, zu Staub wird, aus dem nichts hervorgeht, auch kein
verklärter Leib
, von dem die Kirche faselt. Alles Täuschung und Betrug. Staub bleibt Staub. Also meine ich, daß es zur Beförderung des wahren Wissens gestattet sein muß, die Leiber zu öffnen und ihre Geographie zu erforschen, wonach euch Medizinern ja so sehr gelüstet.«
    »Monsieur, wieviel wird das kosten?« fragte Merdanson.
    »Soviel wie das Huhn, das wir verschlungen haben: keinen Heller«, sagte Cabassus stolz. »Meine Brüder im Menschengeschlecht, morgen nachmittag öffnet die Parochie zu geringen Kosten die Erde für eine Hure und eine Waise: will heißen, daß da nicht tief gegraben wird. Kommt zur Nacht mit langen Stöcken, Stricken, zwei Decken, Kerzen, einer Blendlaterne, Euren Skalpellen und dem nötigen Essig zum Desinfizieren. Ich bringe die Schaufeln. Und falls Ihr ertappt werdet: EuerVerbrechen heißt Grabschändung, geahndet wird es mit dem Galgen oder der Galeere.«
    »Heiliger Bimbam! Eure Brüder in Christo sind bewaffnet?« rief Merdanson.
    »Sie verfügen über eine Armbrust.«
    »Eine Armbrust!« rief ich. »Altertümlich, aber tödlich!«
    »Es wird Nacht sein, und der Friedhof ist nicht mehr bewacht«, sagte Cabassus. »Auch geht das Gerücht, daß zur Mitternacht die Hexen dort ihren Sabbat feiern. Das hält die Diebe fern.«
    Cabassus stieß uns ohne viel Reden – er war wortkarg, wenn es nicht um die Leugnung Gottes ging – zur Tür hinaus, und da schritten wir stumm durch die gewundenen Gäßchen der Vorstadt Montpellieret heimwärts, über wichtige Dinge grübelnd. Bevor wir das Stadttor wieder passierten, blieb Carajac stehen und fragte mit tonloser Stimme, die Zweifel und Gewissensqual verriet:
    »Freunde, wollen wir es wirklich tun? Das Unternehmen birgt große Gefahr.«
    »Die Gefahr ist groß«, sagte Merdanson. »Doch ich bin bereit, wenn Siorac mitmacht. Ich wähne mich ebenso tapfer wie Siorac, aber er ist schlauer, wenn es gilt, sich aus Gefahr zu retten.«
    Hierauf sahen mich Carajac und Merdanson an und erwarteten von mir die Entscheidung. Aber ich war darauf nicht sonderlich versessen. In der Erde wühlen, eine Leiche ausscharren und sie öffnen in schändlicher Profanierung der göttlichen Gesetze, mich einem Armbrustbolzen aussetzen oder der öffentlichen Schande auf dem Schafott – all das stimmte mich nachdenklich. Überdies wir den Aufenthaltsort der Toten als abstoßend empfinden, von unbestimmbarer Grenze zwischen Hölle und Himmel und näher der ersteren, heimgesucht von umherirrenden Seelen und, sofern man dem Ruf des Saint-Denis-Friedhofs glaubte, auch von Hexen, die im Mondschein auf den Gräbern tanzen und Unzucht treiben mit dem Teufel.
    Gar wenig auch schmeckte mir die Kumpanei mit diesem augenrollenden irren Abbé, dem weiß einer welcher Dämon den Leib ausgezehrt hatte und der mit seiner närrischen Gottesleugnung laut nach dem Scheiterhaufen zu rufen schien.
    »Welche Herausforderung des Schicksals!« hob ich leise an, wurde indes immer lauter, je mehr ich mich in Eifer redete. »Freunde, stellen wir uns dieser Herausforderung! Nehmen wirden Fehdehandschuh auf! Eine höchst seltene Gelegenheit gilt es beim Schopfe zu packen. Was sehen wir schon, wenn wir im Anatomiesaal hinter Doktor, Lizentiat und Bakkalaureus sitzen? Nur eben die Bewegungen des Prosektors, die der königliche Professor von seinem Katheder herab kommentiert! Erkennen wir etwa die kleinen Dinge und Feinheiten in der Geographie des menschlichen Körpers? Die Venen, die Nerven, die Sehnen? Betasten wir die Organe? Erfahren wir prüfend deren Volumen, Gewicht und Beschaffenheit? Freunde, wenn wir es morgen wagen, haben wir zwei Leichen zu

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