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In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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verwundert, daß er einen so langen Satz gesprochen hatte. »Ich schlage vor, wir leeren jetzt unsere Näpfe und machen uns stracks auf den Weg.«
    »Weshalb?« fragte Merdanson.
    Carajac aber hatte für diesen Tag sein Wortgut erschöpft und blieb stumm. Doch so überzeugend wirkte sein Schweigen, daß ich nicht weiter in ihn drang, sondern die Wirtin rief und die Zeche zahlte.
    Die Nacht brach herein, als wir endlich Cabassus’ Behausung erreichten. Carajac pochte zag an die Tür und nannte leise seinen Namen. Die Tür tat sich auf, und in einem Raum von so niedriger Decke, daß Carajac oben anstieß, gewahrte ich ein mageres Männlein mit struppigem Haar und unruhig glänzenden Augen, die mir beim Schein der auf elendem Tisch abgestellten einzigen Kerze ein wenig irre dünkten. Cabassus war gerade dabei, auf der knausrigen Flamme seines Herdes etwas zu garen, was dem Geruche nach Huhn in Kohlbrühe war.
    »Meine Brüder!« sprach er mit Fistelstimme, »nicht Brüder in Gott, den es nicht gibt, sondern Brüder unserer gemeinsamen Spezies, ich meine der Menschheit, seid willkommen in meiner Hütte und an meinem Topf. Kommt her, meine Brüder, neigt Euer Haupt. Kein Mysterium der Heiligen Dreifaltigkeit hier. Es ist ein Huhn. Ich habe es gestern bei einem betuchten Bürger gestohlen, weil ich mein armes Gerippe gut nähren muß – in der Gewißheit, daß meine Seele selbiges nicht überleben wird, entgegen den Lehren der heiligen Kirche. Der Kohl allerdings ist mein Eigentum und kommt aus meinem Gemüsegarten, der dicht am Aufenthaltsort der Toten gelegen und daher gut gedüngt ist. Kohl und Huhn werden uns munden im Verein mit einer Flasche guten Weins, sofern Carajac sein Versprechen gehalten hat.«
    »Hat er«, sagte Carajac, zog unter dem Mantel eine Flasche hervor und reichte sie Cabassus, der sie entkorkte und vier Becher füllte.
    »Trinken wir auf die Nichtexistenz Gottes«, sagte Cabassus.
    »Ich trinke auf die Existenz Gottes. Ich glaube an Gott«, sagte ich.
    »Ich auch«, sagte Merdanson.
    »Ich auch«, sagte Carajac.
    »Meine Brüder«, sprach Cabassus, nachdem er seinen Becher in einem Zug geleert hatte, »ich liebe euch um der Liebe zur Menschheit willen, aber ihr seid in einem tödlichen Irrtum. Denn was kann man geben auf die wirren, sich widersprechenden Berichte von vier leichtgläubigen Hebräern aus dem gemeinen Volk, Handwerkern, die alles glaubten, weil sie nichts wußten, so wie heute ein Bauersmann an die Wunderwirksamkeit seines Heiligen glaubt! Wie aber antwortet meine Kirche darauf? Mit dem Scheiterhaufen. Die brutale Schwäche dieser Antwort ist an sich schon Beweis für die unabweisliche Kraft der Frage. Meine Brüder (er legte die Hand auf einen dicken Stapel beschriebener Blätter), ich habe hier einen kleinen lateinischen Traktat über die Nichtexistenz Gottes und die Sterblichkeit der Seele geschrieben, mit dem Titel
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1 . Eine Abhandlung, welche die umdüsterten Geister unserer Zeit erhellen könnte, sofern sich ein Drucker fände. Doch keiner hat den Mut, sie zu drucken. Mein
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wird zusammen mit mir vergehen.«
    »Priester, du leugnest also auch die Unsterblichkeit der Seele?« fragte Carajac.
    »Das tue ich. Noch nie bin ich einer von ihrem Körper losgelösten Seele begegnet. Und du, Carajac, der du so gelüstig bist aufs Sezieren, sage mir: hat der Chirurg beim Zerschnippeln eines Toten jemals eine Seele freigelegt?«
    »Das ist nicht möglich, die Seele ist immateriell«, sagte ich.
    »Wenn man sie nicht anfassen kann«, rief Cabassus und zog aus seinem Mund den Hühnerflügel hervor, den er gerade hatte verschlingen wollen, »woher weiß man dann, daß sie da ist?«
    »Die Überlieferung lehrt es«, sagte Merdanson.
    »Ha!« rief Cabassus, »ihr Hugenotten habt namens der freien Forschung eine stattliche Anzahl überkommener Glaubensartikelverworfen. Aber hinlänglich frei war eure Forschung doch nicht. Ihr seid auf halbem Wege stehengeblieben, wie erschrocken vor der eigenen Courage. Wäret ihr weitergeschritten, ihr hättet, wie ich, alles abgetan!«
    Er steckte den Flügel in den Mund zurück, kaute ihn samt Knochen mit einem geräuschvollen Malmen.
    Das Herdfeuer war zusammengesackt, der kleine verqualmte Raum mutete so schwarz an wie der Höllenschlund, war nur erhellt von der Kerze, die Cabassus mitten auf dem wurmstichigen Tisch auf einen umgestülpten Zuber gestellt hatte. Ich wußte nicht, was ich von Cabassus halten sollte. Gewiß, seine Miene, sein

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