In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
Entgegenkommen.
»Monsieur de Siorac«, sprach er sehr ernst, »ganz Montpellier weiß, daß Ihr während der Popanzaffäre im Kerker saßet, der Apfelsinenschlacht wegen, und das Gefängnis nur verließet, um den Nachmittag bei Madame de Joyeuse zu verbringen; doch alle Neuchristen dieser Stadt wissen auch, wem wir die Zerstörung jener schändlichen Puppe verdanken, die nicht nur Meister Sanche verhöhnen sollte, sondern uns alle meinte.«
Er setzte seinen Becher ab, der Zorn in seinem Gesicht wich freundlicher Milde.
»Ihr gestattet, Monsieur de Siorac? Darf ich Euch umarmen?«
»Aber von ganzem Herzen!« rief ich, »und in aller Freundschaft!«
Er schloß mich so kraftvoll in die Arme, daß ich beinahe erstickte, und rieb seinen derben Bart an meinen Wangen.
Meister Sanche in der Apotheke, kaum daß er mich gewahrte, umarmte mich ebenso stürmisch, doch saß ihm ein Kloß im Hals; nur stockend brachte er hervor: »Mein Neffe! Mein Neffe! Mein Neffe!« Woraufhin er unter Tränen enteilte.
Ich begab mich auf mein Zimmer in den Oberstock. Jemand klopfte an die Tür, es war Fogacer. Ohne mich zu umarmen, streckte er mir mit bekümmerter Miene die Hand entgegen, setzte sich auf einen Schemel und bemerkte ganz bang: »Dame Rachel hat vom hochrühmlichen Meister Eure Entlassung verlangt.«
Ich war baff.
»Und womit hat sie ihr Verlangen begründet?«
»Mit dem Reim vom jungen Rock und dem Schüler. Es darf kein Schatten fallen auf des Caesars Weib, sagt sie.«
»Heiliger Antonius! Und Meister Sanche?«
»Meister Sanche hat ihr gewaltig die Zähne gezeigt, er spuckte Feuer und Flamme, und Dame Rachel hat sich in ihr Zimmer eingeschlossen. Da dran wird der arme Meister noch lange kauen. Darum habt Ihr ihn so verwirrt gesehen.«
»Und woher wißt Ihr von dem Reim?«
Fogacer sah mich an, wölbte seine schwarze Braue.
»Ich war dort. Vielleicht, Pierre, habt Ihr nicht darauf geachtet,daß unter den schändlichen Popanzen, an denen sich die Bosheit der Leute ergötzte, einer war, der einen Magistraten vom Gericht karikierte; sein Kleid trug einen Reim, der sein Gebresten verspottete, und Ihr ahnt gewiß, welches.«
»Zählt er zu Euren Freunden?«
»Er zählt zu meiner Bruderschaft, wie ich es nennen möchte«, sagte Fogacer so entschieden, daß ich verwundert aufmerkte; dabei war er ganz bleich, fühlte sich offenbar nicht wohl in seiner Haut, denn er schluckte schwer und biß sich auf die trockene Lippe. »Ein anderer Popanz nahm Abbé Cabassus aufs Korn, den man der Gottlosigkeit bezichtigt. Zwischen Atheisten und Neuchristen befanden
wir
uns also in guter Gesellschaft.« Er hatte das
wir
mit Stolz betont, als wolle er die ganze Welt schmähen.
»Fogacer, wart Ihr zugegen, als ich den Popanz von Meister Sanche angreifen wollte?«
»Ja, ich habe Euch trotz Eurer Maske erkannt. Und das Durcheinander nutzend, habe ich den Reim abgerissen, der den Richter inkriminierte.«
»Ihr habt mich erkannt, trotz meiner Maske!« rief ich erstaunt und sah ihn an.
»Versteht mich recht, Pierre«, entgegnete Fogacer betroffen, »in der Rue de l’Espazerie, wo ich meinen Narrheiten freien Lauf ließ, hatte ich Euch noch nicht erkannt, aber als Ihr mir die Maske vom Gesicht schlugt, da erkannte ich am Ausdruck Eurer Augen, daß Ihr es wart, und war sehr beschämt, daß ich Euch angefallen hatte.« Er wölbte seine teuflische Braue und sagte in einem Ton, der nicht halb so bescheiden klang wie beabsichtigt: »Deshalb bitte ich Euch ergebenst um Verzeihung.«
»Ha, Fogacer!« rief ich, trat auf ihn zu, beugte mich über ihn und küßte ihn auf beide Wangen, dabei er errötete wie eine Jungfrau, »Ihr seid mein Freund, bitte keine Entschuldigungen unter uns. Ich stehe nicht anders da, denn ich habe Euch geschlagen. Und Eure Narrheiten, wie Ihr es nennt, sind von wenig Belang.
Medicus sum.
1 Was uns unterscheidet, ist eine Sache der natürlichen Veranlagung oder des Temperaments. Ich bin auf die Röcke versessen. Ihr seid es nicht. Das ist alles.«
»Nur mit dem Unterschied (hier grinste er matt), daß Euchdie Röcke dieser Welt nicht in Gefahr bringen, auf öffentlichem Platz verbrannt zu werden.«
»So lebt Ihr also (ich sah ihn jetzt mit gewandeltem Blick) in beständiger Gefahr!«
»Zumal ich auch noch Atheist bin«, sagte Fogacer. »Doch dieses Verbrechen läßt sich leichter verhehlen, da langt ein bißchen Mummerei.«
Sowenig ich das Wort Mummerei auf die papistischen Riten angewandt wünschte (denn ich wette,
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