In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
und d’Assas, unter deren Vorsitz er geprüft worden. Dieser Erfolg Merdansons war nur gerecht, denn ausgenommen die Huren der Rue des Etuves sowie das Trinken und Essen, galt seine große, ungestüme, einzige Liebe der Medizin, für deren Voranschreiten er, wenn nicht die Seele, so mindestens sein Leben hergegeben hätte. Im übrigen war er ein guter Hugenotte, gehörte jedoch wie ich eher einer Partei als einer Kirche an und blieb notfalls lieber dem Gottesdienst fern als einer Sezierung.
Ich hatte, wie der Leser weiß, mein erstes Studienjahr soeben abgeschlossen, desgleichen der Chirurgenlehrling Carajac, weshalb wir das Skalpell unserem Altvorderen überließen, der an kleinem Getier schon alles seziert hatte, was ihm nur unter die Pfoten geraten war. Er führte die Hand geschickt und wußte kunstvoll zu erklären, was er da entdeckte; leider aber konnte ich mir keine Notizen machen, weil ich den Leuchter halten mußte. Carajac half ihm, das Gewebe zur Seite zu drücken, während Cabassus, ganz still auf einem Stuhl stehend, über unsere Schultern lugte und mit gläubigem Respekt zuschaute.
»Ich stelle fest«, sagte Merdanson, ohne jegliche Unflätigkeiten, die seine Reden sonst begleiteten, »die Gebärmutter istnoch geschwollen, fand ja die Entbindung erst gestern statt. Offenbar eine schwere Geburt, der Scheidengang zeigt tiefe Wunden, die Hebamme war eine kriminelle Stümperin. Sie hat Zangen benutzt und dabei das Kind getötet, die Gebärmutter und das Zwerchfell durchstochen und eine Blutung verursacht, an der die Ärmste gestorben ist. Und schließlich stelle ich fest, daß die Gebärmutter, wie Vesalius bewiesen hat, ein einziges Hohl ist, nicht zweigeteilt, wie Galenus behauptete.«
»Galenus hat sich also getäuscht!« rief Cabassus und rieb sich die Hände, so groß war sein Haß auf die Alten und die Autorität.
»Aber an unserer Schule gibt es noch immer Doktoren, darunter Pinarelle, die sich lieber mit Galenus täuschen als mit Vesalius recht haben möchten«, sagte ich.
»Erbärmlich! Augen haben und nicht sehen wollen!« sagte Cabassus.
Dann schwieg er, denn nun legte Merdanson einen Eileiter frei und einen der Eierstöcke, dabei er ihren Zweck erklärte. Während ich zuhörte, wurde mir bewußt, daß die Befruchtung der Frau ein großes Wunder war und für sich allein schon die Existenz eines Schöpfers bewies, der in seiner göttlichen Weisheit eine so einfache und gleichwohl feine Mechanik hatte ersinnen können.
Als Merdanson mit den
genitalia
zu Ende war, öffnete er der Kurtisane den Brustkorb, um das Herz herauszuschneiden. »Weißt du, daß Aristoteles das Herz für ein warmes Organ mit drei Kammern hielt?« fragte er Carajac.
»Haha!« frohlockte Cabassus über den gewaltigen Irrtum dieses von der Kirche so verehrten Meisters.
»Nein, wußte ich nicht«, sagte Carajac.
»Er behauptete auch, das Blut werde im Herzen gebildet.«
»Haha!« rief Cabassus verächtlich.
»Und schließlich meinte Aristoteles, das Herz neige zu Überhitzung, weshalb die Lungen als Blasebalg dienten, um kühle Luft zuzuführen und es zu erfrischen.«
Hier nun lachte Cabassus aus vollem Halse und schaukelte so gewaltig, daß er um ein Haar vom Stuhl gefallen wäre.
»Und Galenus«, fuhr Merdanson fort, »Galenus behauptete, die Herzkammern stünden miteinander durch Poren in Verbindung.«
»Und das war falsch?« fragte Cabassus und rieb sich wiederum die Hände vor Wonne.
»Ja, Freunde, das war falsch. In seinem
De corporis humani fabrica
beweist Vesalius, daß zwischen den Herzkammern keine Verbindung besteht. Carajac, hier hast du das Herz dieser armen Frau. Zu ihren Lebzeiten hat es für manch einen im Rhythmus ihrer kleinen Muschel geschlagen. Behandele es mit großer Sorgfalt.«
Wortlos nahm Carajac das Herz in Empfang, hüllte es in ein großes Schnupftuch, verknotete die Zipfel und machte daraus ein Paketchen, ähnlich jenen Bündelchen, darin der Landmann die Butter zum Wochenmarkt trägt.
Als die Kurtisane wieder in ihr Laken eingenäht war – und sie stank kaum, da war nur der fade, unangenehm süßliche Geruch, der das erste Stadium der Verwesung begleitet –, wurde sie auf eine Truhe gelegt, und Carajac brachte das Waisenkind zum Tisch.
»Es ist sehr leicht«, sagte er.
»Weil ein Waisenkind wenig ißt«, sagte Merdanson.
Kaum aber war das Laken aufgetrennt, drang uns ein unerträglicher Geruch in die Nase. Und als Merdanson die Lunge aufschnitt – Cabassus hatte uns gesagt,
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