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In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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auf das Pflaster fallen hören.
    »Sie hat ihn verknotet!« rief ich mit erstickter Stimme. Angst schnürte mir die Kehle zu. Mit der Laterne leuchtete ich ringsum alles ab, suchte den Faden und fand ihn zu einer Acht verschlungen, doch die Silbermünze fand ich nicht. Die Höllenmacht hatte den Zauber gebilligt und vollzogen. Es war für immer vorbei mit meiner Leidenschaft zum Lieben und zum Leben.

ELFTES KAPITEL
     
    Ich weiß, daß manch Freigeist in diesem Jahrhundert, der weder an Gott noch an den Teufel glaubt, über mein Entsetzen spotten wird; gleichwohl wird solch böse Zauberei von den Kirchen und den Gelehrten des Königreichs ernst genommen. Freilich, in Mespech lachte man über den Hokuspokus der Maligou, doch die Maligou war keine Hexe, wurde vom Pfarrer und in unseren Dörfern auch nicht für eine solche gehalten. Anderenfalls hätte man vor ihr gezittert. Denn schrecklich ist des Hexers Macht: er läßt Herden verenden und Brunnen austrocknen und über Nacht die Obstbäume verdorren, er braut Liebestränke oder Todessude und verknotet, was vielleicht noch schlimmer ist, einem Bräutigam den Senkel.
    Solche Praktiken waren und sind im Périgord nicht selten und mehr noch im Languedoc, wo die Angst vor den Senkelverknotern so verbreitet ist, daß nur ein Brautpaar von zehn es wagt, sich im eigenen Kirchspiel öffentlich trauen zu lassen.
    Denn sobald der Priester den geheiligten Satz spricht:
Was Gott geeint hat, soll der Mensch nicht trennen
, braucht ein anwesender Hexer nur zu murmeln:
… aber der Teufel!
und ein zu einer Acht gewundenes Schnürband sowie ein Geldstück über die Schulter zu werfen, und schon hat der Bräutigam die Fähigkeit zum Vollzug der Ehe für immer verloren. Darum lassen sich viele junge Burschen und Mädchen heimlich in der Kirche eines Nachbardorfes trauen, dabei sie selbst den nächsten Angehörigen Stunde, Tag und Ort vorenthalten, um so etwaigem Zauber zu entgehen, der nicht nur während des ganzen Erdenlebens, sondern bis zum Tage des Jüngsten Gerichts auf dem Paar lasten würde.
    Den kurzen Rest der Nacht verbrachte ich, ohne ein Auge zu schließen, in panischer Angst vor meiner freudlosen Zukunft. Gleichwohl mußte ich in aller Frühe aufstehen, um die Privatvorlesungen von Saporta und Bazin zu hören, was ich mit halbem Ohr und halbem Sinn nur tat, die andere Hälfte meinesHirns wälzte düstere Gedanken. Nicht daß ich fürchtete, die Mangane könnte unser heimliches Sezieren verraten: wer würde wohl einem jungen Mädchen glauben, das als taub, stumm und geistig verwirrt galt? Aber das Senkelverknoten und die schrecklichen Folgen, das konnte einen wie mich fürwahr beschäftigen.
    Der Tag zog sich länger hin als ein ganzes Jahr, doch nach all den Stunden voller Pein und Befürchtungen eilte ich zur Thomassine, flüchtete mich in ihre Arme und an ihre Brüste (die mich so sehr an meine gute Barberine erinnerten), liebkoste sie, bedeckte sie mit Küssen und meinte endlich, ganz entflammt, über den Zauber der Mangane zu triumphieren. Doch dieses jähe Feuer erlosch, und es war, als stünde plötzlich eine Mauer zwischen ihrem Leib und mir. Verwundert, aber mütterlich und lieb wie stets, wiegte mich die Thomassine an ihrer Brust, bedachte mich mit ihren Kosenamen, und ich erzählte ihr, von so viel Liebe gerührt und in Schluchzen ausbrechend, von der Verstümmelung, deren Opfer ich geworden.
    Die Thomassine nahm die Sache nicht leicht, mit bekümmertem Blick sprach sie von etlichen Pechvögeln in den Cevennen, denen der Hexer während der Trauung den Senkel verknotet hatte, so daß sie zeitlebens ihr Eheweib nicht berühren konnten, hingegen bei anderen Schürzen sich als wacker bewiesen.
    »Wollte Gott, Thomassine, daß der Zauber beschränkt bliebe auf mein Eheweib – das ich nicht habe!« sagte ich.
    »Da du nicht verheiratet bist«, sagte die Thomassine, »be wirkt der Zauber, daß du es bei keinem Weibsbild kannst, und das ist für dich viel schlimmer, mein armer Pierre.«
    Solche Rede stürzte mich nur noch mehr in Verzweiflung.
    »Aber gibt es dagegen kein Mittel?« fragte ich. »Kann Gott nicht entknoten, was der Teufel verknotet hat? Sollte der Teufel dem Herrgott darin überlegen sein?«
    Die Thomassine schwieg erschrocken, denn sie war sehr schlichten Glaubens. Am Sonntag ging sie zur Messe, begleitet von Azaïs, die ihr Meßbuch trug, welches die Thomassine dann angestrengt vor ihre Augen hielt, ohne je ein Blatt zu wenden; sie konnte zwar gut

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