Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
Vom Netzwerk:
schliefet Ihr einmal ohne Mädchen, wären Eure Sünden weniger groß«, sagte Bruder Antoine.
    »Aber ich denk nicht an meine Sünden, wenn ich mit Mädchen sündige. Schlimm ist nicht die Sünde, sondern daß man dran denken muß.«
    Und er begann zu weinen. Ja, dieser hohe, mächtige Baron weinte! Allerdings hatte er viel getrunken.
    Ich wandte mich an den Wirt und versicherte ihm, er könne in Frieden gehen, er würde hinfort nicht mehr belästigt werden. Doch der Wirt erwiderte in seinem Dialekt:
    »Ich fürchte mich nicht. Es wird dem Gerechten kein Leid geschehen.«
    Bei diesem Bibelspruch erriet ich in ihm einen der Unseren, wie schon sein erster Blick es mir verraten hatte, die Art, wie er die Pilger, ihre Medaillen und die Mönche abschätzig musterte.
    »Ach! im Fegefeuer bin ich schon«, sagte der Baron, und wie Herbstregen rannen ihm die Tränen. »Diesen Fraß löffeln! Diesen Essig trinken! Und von zahnlosen Weibern bedient werden! Ringsum nichts, was einem das Herz erfreut! Und nichts unter der Pfote! Himmelherrgott! Ich bin bereits tot und verdammt!«
    Und so sehr bekümmerte ihn sein schlimmes Los, daß er von dem Trester soff, bis er unter den Tisch fiel. Am nächsten Tag war er dennoch nicht weniger knauserig, eine ganze Stunde feilschte er mit dem Wirt und drückte die Rechnung letztlich auf eine sehr ehrbare Summe herab. Die Sonne zeigte bereits Mittag an, als wir endlich auf der großen Straße von Toulouse nach Montpellier weiterzogen.
    An diesem Tag bewältigten wir nur knapp mehr als fünf Meilen, und wir nächtigten in Castelnau d’Ary. Samson und ich und auch Miroul, wir waren sehr ungeduldig, weil es gar langsam voranging; unsere Pferde hätten täglich zehn Meilen geschafft, so schnell und ausdauernd waren sie, und sonderlich Samson bekümmerten unsere Ausgaben in den vielen Herbergen. Die von Castelnau d’Ary hatte als Schild einen goldenen Löwen, und dieser Löwe zeigte sich sowenig engelhaft wie die zwei Engel in Toulouse: er hatte einen großen Rachen, die Fleischstücke zu verschlingen, und gewaltige Krallen, jene zarte Beute zu packen, daran es diesem »Logis«, wie es sich bescheiden nannte, nicht fehlte.
    Die Wirtin buk überdies so vorzüglich, daß es mir nicht gelänge, die ganze Kuchenvielfalt zu beschreiben, mit der sie uns zum Naschen verführte. Diese Köstlichkeiten wurden am Morgen auf dem Tisch im großen Saal ausgelegt, und jeder Logiergast konnte sich allzeit in solcher Menge bedienen, daß auch dem größten Appetit Genüge ward. Zudem setzte die Wirtin nichts davon auf die Rechnung. Noch heute läuft mir das Wasser im Munde zusammen, wenn ich an die Gaumenfeste denke, die uns die Wirtin des
Goldenen Löwen
gratis bescherte.
    Die rundliche kleine Wirtin, die so geübt im Kuchenbacken und von so schenkfreudiger Seele, hieß im Ort die
Patota
, weil sie das runde Gesicht einer Puppe hatte. Ansonsten war sie vernarrt in den gewaltigen Schnurrbart ihres Ehemannes, war ihm treu wie Demant und darum nur mit dem Auge zu berühren.
    Aber es gab in diesem Logis so viele leichter berührbare Mädchen, daß Caudebec sich wie der Fuchs in seinem Bau hier gemütlich einrichtete und fünf lange Tage verweilte, unter dem üblichen Vorwand, den Pferden Erholung zu gönnen. Dergestalt wir noch heute dem Löwen dort die Mähne kämmen würden, hätte nicht Bruder Antoine, der dem Baron beim Erwachen die Beichte abnahm, gebieterisch die dichten schwarzen Brauen gewölbt. Das reichte aus. Am folgenden Morgen lichteten wir Anker in diesem Hafen.
    Vom Pagen Rouen erfuhr ich, daß Bruder Antoine dem Baron gedroht hatte, ihm einige Ablaßtage zu streichen, die Caudebec jüngst erst erworben. Denn der gute Mann, sonst so knauserig mit den Seinen, war es mitnichten im Falle des eigenen Heils; peinlich genau führte er Rechnung über Tausende von Ablaßtagen, die er sich mit seinen Opfergaben erkaufte, um sein Verweilen im Fegefeuer zu kürzen.
    Bevor wir den
Goldenen Löwen
verließen, trat ich vor die Patota, ihr meinen herzlichen Dank abzustatten und ihr züchtig die Wangen zu küssen. Ich wußte fürwahr nicht, was ich an ihr zuvörderst bewundern sollte: ihre Schönheit oder ihre Backkunst oder ihre Tugend.
    »Edler Herr«, sprach die Patota mit wogendem Busen, »Ihr wart hier zu allen so lieb und wart allen so dienstbar, daß ich nahe am Weinen bin, nun ich Euch fortziehen sehe auf der großen Straße, wo so große Gefahr auf Euch lauert. Gott schützeEuch, und möge er Euren Bruder

Weitere Kostenlose Bücher