In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
geschmiert wurde. Aber wer wagt es heutzutage, sich als Freund eines Gottlosen zu bekennen?«
»Ich!« rief ich. »Ich eile, Vignogoule fünf Dukaten zu bringen, damit er Cabassus sauber erdrosselt.«
Und ich stürzte zur Tür, die sich im selben Augenblick auftat. Herein trat Meister Sanche.
»Mein lieber Neffe, was hör ich da!« sagte er mit strenger Miene. »Das ist nicht möglich, die Tür ist verschlossen, alle Fenster sind dichtgemacht, jeglicher Ausgang verbarrikadiert. Außerdem sind soeben die Richter eingetroffen und die Domherren und Cossolat. Es wäre Irrsinn, vor ihren Augen den Henker zu bestechen.«
Ich lief ans Fenster. Es war so, wie er gesagt: zu Pferde, manche auch auf einem Maulesel, umringten die Richter des Provinzialgerichts und jene Domherren, die Cabassus noch vor dem Spruch der Richter zur Degradation verurteilt hatten, mit ernsten, mitleidvollen Mienen den Scheiterhaufen, untereinander leise schwätzend und offenbar ungeduldig, die Sache recht bald zu Ende zu bringen. Hinter ihnen – gleichsam ein Wall, der die Menge von den Richtern und dem Scheiterhaufen fernhielt – hatte Cossolat in Doppelreihe seine Soldaten postiert.
Cossolat drückte sein Pferd nach rechts und nach links, sein scharfes Auge unter der schwarzen Braue suchte angestrengt die Umgebung ab bis hin zu den Fenstern der Häuser, darin sich Gaffer beiderlei Geschlechts drängten, auch Schwangere und Mütter mit ihren Säuglingen. Die Menge auf dem Platz war riesig, und als Cabassus auftauchte, empfing ihn ein so gellendes, wildes Geheul, daß ich erstarrte und die von Tausenden von Mündern haßvoll gebrüllten Worte zunächst nicht verstand.
»Brenne, Gottloser, brenne!« schrien sie.
»Ha! wer hat behauptet, der Mensch sei des Menschen Wolf?« sagte Fogacer, ganz bleich im Gesicht. »Der Spruch hat einen Fehler: er verunglimpft den Wolf.«
»Ich kann das nicht mit ansehen, ich gehe in meine Offizin zurück«, sagte Meister Sanche mit bebender Stimme und entschwand.
Cabassus, von zwei Häschern flankiert, war nicht gefesselt, schritt aber unsäglich mühevoll, gleichsam schwankend, noch arg mitgenommen von der erlittenen Folter; auch hatte man ihm ein riesiges Strohbündel auf den Rücken gebunden, das wohl sinnbildlich sein Schicksal vorwegnehmen sollte. Dieser Anblick behagte den Domherren nicht, vielleicht weil das Bündel an das Kreuz erinnerte, das man Christus bei seinem Leidensgang aufgebürdet hatte. Weshalb sie denn verlangten, Vignogoule solle es dem Verurteilten abnehmen. Der Henker tates, hierauf die Menge in ihrem Unmut murrte und den Henker laut höhnte.
Der Regen, der schon aufgehört hatte, setzte jetzt wieder ein: kleine dichte Tropfen, die wie ein Vorhang von einem schwarzen Himmel fielen. Nachdem die Häscher sich zurückgezogen hatten, stand Cabassus allein vor dem Scheiterhaufen, in löchrigem Wams. Er wirkte ruhig und gefaßt wie am Tag seiner Degradation.
Einer der weltlichen Richter entrollte ein Pergament und verkündete den Richtspruch, in Latein, in Französisch und in Okzitanisch. Befragt, ob er noch etwas hinzuzufügen hätte, sprach Cabassus laut und vernehmlich:
»Ich sterbe, weil ich die Wahrheit bekunde.«
»Zum Disputieren ist jetzt keine Zeit mehr«, sagte der Richter unwirsch, wandte sich an Vignogoule und rief: »Walte deines Amtes!«
Da klatschte die Menge brausend in die Hände und freute sich, daß dieses Schauspiel, dessen sie in Regen und Kälte geharrt hatte, endlich begann. In den Fenstern und Luken ringsum gewahrte ich nur heitere, zufriedene Gesichter, als wäre dies ein Johannisfeuer, bei dem man am liebsten getanzt und getollt hätte. Als gehörte Cabassus zu einer anderen Gattung Lebewesen, nicht zum Menschengeschlecht, und es wäre so statthaft wie vergnüglich, ihn inmitten dieses Holzes zu verbrennen und ihm das Schicksal jener Insekten zu bescheren, die sich unbedacht in den Reisigbündeln eingenistet hatten.
Dem Befehl des Richters folgend, trat Vignogoule an Cabassus heran, legte ihm beinahe liebevoll die Hände auf die Schultern und sagte ihm etwas ins Ohr. Cabassus nickte einverständig, setzte sich auf ein Reisigbündel, zog seine Schuhe aus, erhob sich dann, streifte das Beinkleid ab und das Wams, legte beides sorgsam zusammen und dann sauber gestapelt auf das Holz, als gälte es, dies nach erfolgter Verbrennung wieder anzuziehen. Nur mehr im Hemd, stand er nun barfuß auf dem glänzenden Pflaster und harrte, indes der Regen ihm über das reglose
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