In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
Gesicht rann. Als einige Lumpenkerle sahen, daß er fröstelte, riefen sie, er würde sich bald wärmen können. Doch der Spott fand nur wenig Lacher, die Menge hatte jetzt Augen nur für Vignogoule.
Der Henker – derselbe, der mich geköpft hätte, wäre mir derProzeß gemacht worden – war ein Koloß von Mensch, mindestens sechs Fuß hoch und dick und fett; feist das Gesicht, die Augen blaß, Brauen und Wimpern farblos. Obwohl von gewaltigen Kräften, wirkten seine Bewegungen schlaff, sein Fuß schritt lautlos wie eine Katzenpfote, nur war diese Pfote monsterhaft groß, desgleichen seine Pranken, so kräftig und gewaltig, daß sie das kernigste Mannsbild wie eine Taube hätten abmurksen können.
Seinem Gepräge nach hätte er keiner Fliege etwas zuleide getan, aus dem riesigen Leib drang eine sehr sanfte Stimme. Doch sein Herz war bar jeder Menschlichkeit und erfüllt von unvorstellbarer Gier, sich am Leiden anderer zu ergötzen. Jähe Verwandlung ging in ihm vor, sobald es einen Menschen zu richten galt, zu erwürgen, zu köpfen, zu hängen oder zu verbrennen. Da wuchs sein Auge plötzlich, wenn er das Opfer anstarrte, die Pupille weitete sich, er riß das Maul auf, und sein Atem wurde ein so rauhes, lautes Keuchen, als wütete er auf einem Weib.
Obwohl die braven Leute das Schauspiel, das er ihnen bot, sehr mochten, haßten sie ihn, schmähten und höhnten ihn, vielleicht weil seine schändliche Grausamkeit das vergrößerte Abbild ihrer eigenen Grausamkeit war. Sobald Cabassus nun entkleidet dastand, begann Vignogoule, der ihn um Kopf und Schultern überragte, wie der Balg eines Schmiedefeuers zu schnaufen, seine breiten Hände erbebten bis in die Fingerspitzen, und das Weiß seiner Augen quoll zwischen den Lidern hervor. Lange ertrug das Volk die schandbare Wollust des Henkers nicht, es brach jäh in Haß und Verwünschungen aus und schrie: »Verbrenne dich, Vignogoule, verbrenne dich!«
Hierauf ließ der Vertreter des Seneschalls die Trommel schlagen, Stille trat ein, und er sagte mit größtem Abscheu:
»Henker, jetzt walte endlich deines Amtes!«
Vignogoule trat an Cabassus heran und wies wortlos auf den Scheiterhaufen. Da stieg Cabassus leichtfüßig über die stufenförmig gelegten Bündel hinauf und setzte sich vor den Pfahl, die Beine unter sich verschränkt. In dieser Haltung harrte er voll Geduld, ohne mit der Wimper zu zucken, obschon in Kälte und Regen fröstelnd.
Vignogoule, immer noch schnaufend, bestieg seinerseits den Scheiterhaufen, fesselte Cabassus die Hände vor der Brust und band ihm den Oberkörper an den Pfahl, bei etlichen Umwindungendes Stricks, dabei er rücklings jedesmal einen Knoten machte, damit die Fessel, wenn das Feuer die Hanffaser erfaßte, sich nicht gleich lösen würde. Dann legte er Cabassus die Schlinge um den Hals und überzeugte sich, daß das freie Ende gut durch das Loch im Pfahl glitt. Eine halbe Klafter von Cabassus entfernt, legte er dessen handschriftlichen Traktat über die Nichtexistenz Gottes nieder, der laut Gerichtsurteil zusammen mit dem Verurteilten zu verbrennen war.
Cabassus machte ein sehr bekümmertes Gesicht, als er sein
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auf den Reisigbündeln liegen sah. Er versuchte die Hände und den Oberkörper aus den Fesseln zu befreien, fiel dann jäh in Reglosigkeit zurück, senkte den Blick und bewegte die Lippen, als würde er beten.
Die Domherren waren darob verwundert, tuschelten miteinander, dann ritt der älteste ganz nah an den Scheiterhaufen heran und fragte Cabassus, ob Gott sein verhärtetes Herz berührt und er seinen Glauben wiedergefunden habe.
Cabassus schüttelte den Kopf.
»Dennoch betest du«, sagte der Domherr.
»Ich bete nicht«, entgegnete Cabassus laut und klar. »Ich wiederhole mir die Vernunftgründe, die mich vom Glauben abhalten.«
»Können Vernunftgründe Bestand haben gegen die Offenbarung?« rief da der Domherr.
Da lächelte Cabassus – ja, er lächelte. Und mitten in das Schweigen des Platzes sprach er mit wunderbar reiner Stimme:
»Anscheinend doch, sonst würdet Ihr sie nicht verbrennen.«
Der Domherr zuckte mißmutig die Achseln, wendete und ritt an seinen Platz zurück.
»Fahre fort, Henker!« rief der Stellvertreter des Seneschalls.
Vignogoule schlug Feuer, zündete die Fackeln an und reichte sie seinen Helfern, die den Scheiterhaufen vorn und an beiden Seiten in Brand steckten, nicht aber hinten, wo sich der Henker den Zugang zum Verurteilten freihalten wollte.
Zwar brannten die vom Regen
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