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In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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irgendwann verließ, achtete nicht des Weges, sondern ritt wie irre immer gradaus, ohne meine Accla zu lenken. Mein Hirn war dumpf, meine Augen sahen fast nichts, sie waren an jenem abscheulichen Galgen klebengeblieben, dessen Bild ich mit mir trug über Berg und Tal. Ich wähnte mich gleichsam tot, fühlte in meinem Herzen nur Schuld und Verzweiflung.
    Die Sonne brannte heiß, in Strömen rann der Schweiß unter unseren Brustpanzern. Miroul gab zu bedenken, daß die Pferde erschöpft seien und wir anhalten müßten. Ich sah am Waldsaum zu unserer Rechten ein Wiesenstück und befahl Rast. Wir saßen ab, ich entledigte mich des Brustpanzers und des Helms, übergab Miroul meine Accla, stolperte einige Schritte zur Seite und ließ mich da lang hinfallen. Vor Müdigkeit und Weh wie gerädert, krallte ich meine Hände in die Erde, vergrub das Gesicht in die warmen Gräser, als wären es die Brüste meiner Mutter, und brach in Schluchzen aus, das kein Ende mehr nehmen wollte.
     
    Wir erreichten Nîmes am 30sten September, gelangten gegen Mittag vor ein von einem Turm überragtes Bogentor. Der Rundgang des Turms war mit bemerklich vielen Verteidigern bestückt, an die zwanzig Männer, die kaum wie Soldaten aussahen (eher wie Handwerker), aber auffallend unterschiedliche Bewaffnung trugen, manches davon recht alt, dazu Schilde, leichte Brustharnische, Kettenhemden, auch Kürasse. Die Männer wirkten erregt, stelzten hin und her, und als wir kriegsmäßig gerüstet und behelmt vor dem Tor auftauchten, musterten sie uns gar argwöhnisch.
    Ich saß ab, gab Samson die Zügel und näherte mich der Einlaßpforte.
    »Soldat, laß uns ein, wir haben Passierscheine«, rief ich.
    »Wir öffnen niemandem«, beschied der Posten, ein kleiner krummer Mann in viel zu großem Brustpanzer. In der Hand hielt er eine Hellebarde, die er nur unter Mühen heben konnte. »Niemand darf rein und niemand darf raus, lautet unser Befehl«, setzte er mit grimmiger Miene hinzu.
    Trotzdem dünkte mir sein Antlitz eher brav, weshalb ich mit freundlichem Spott entgegnete:
    »Was denn, Kumpel, ein Tor ist da, um geöffnet zu werden! Und hier soll es kein Hinein geben? Wo sollen wir heute nacht schlafen, wenn Eure schöne Stadt uns nicht aufnehmen will?«
    »Moussu«, erwiderte der Mann, nun sanftmütiger geworden auf meine Rede hin, »es tut mir ja sehr leid für Euch, Ihr scheint mir ein freundlicher Edelmann zu sein, doch ich kann nicht anders. Befehl ist Befehl.«
    »Befehl?« fragte ich. »Bist du Soldat?«
    »Bewahre!« sagte der Mann mit einem gewissen Stolz. »Ichhabe einen Beruf, ich bin Wollkämmer. Und die anderen Männer, die Ihr auf dem Wehrgang seht, sind Weber, Seiler, Schuhflicker, oder Seidenarbeiter, die ich nicht leiden kann, denn sie halten sich für was viel Edleres als wir, nur weil sie mit Seide statt mit Wolle umgehen.«
    »Aber wie kommt es, daß Ihr heute das Stadttor bewacht und nicht bei Eurer Arbeit seid?«
    »Was!« fragte er ungläubig, »das wißt Ihr nicht?«
    »Wie sollte ich? Ich bin doch draußen und nicht drin!«
    »Heute haben wir den Papisten die Stadt entrissen, bis auf die Zitadelle, dort haben sie ihre Garnison.«
    »Na, das ist aber eine erfreuliche Nachricht!« sagte ich. »Mein Bruder und ich sind reformierten Glaubens. Mein Diener ebenso.«
    »Was! Hugenotten?« Der Wollkämmer riß seine Augen auf. »Warum habt Ihr das nicht gleich gesagt? Ich hätte Euch aufgetan!«
    »Also öffne uns jetzt.«
    »Gemach!« Der Wollkämmer kratzte sich den Schädel. »Ich weiß nicht, ob ich jetzt darf, nachdem ich Euch vorhin nicht aufgemacht habe. Befehl ist Befehl, wenn Ihr auch Hugenotten seid. Tja, Teufel, was jetzt tun? Moussu, was meint denn Ihr?«
    Ich fand es ergötzlich, daß er mich fragte, und wollte ihn schon drängen zu öffnen; doch überzeugt, daß er dann noch immer schwanken würde, sagte ich:
    »Kumpel, du fragst wohl besser deinen Anführer, damit er statt deiner entscheide.«
    »Bei Gott, das ist eine Idee«, sagte der Wollkämmer. »Ich eile auf der Stelle zu ihm.«
    Und er wackelte los, die schwere Hellebarde hinter sich herschleifend. Doch nach kaum drei Schritten machte er kehrt.
    »Moussu, ich heiße Jean Vigier«, sagte er.
    »Jean Vigier! der Name gefällt mir, er klingt nach einem tapferen Mann. Ich heiße Pierre de Siorac.«
    »Seid Ihr wirklich ein Edelmann, Moussu? Oder verdankt Ihr Euer
de
nur eben einem Stückchen Land?«
    »Ich bin zweitgeborener Sohn des Barons von Mespech.«
    »Ah, Moussu,

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