In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
wer würde das vermuten, wenn er Euch so liebenswürdig sprechen hört? Man erkennt, daß Ihr – anders als manch einer – den Handwerker nicht verachtet.«
»Keinesfalls! Beruf ist Beruf. Und ein Wollkämmer ist einem Seidenarbeiter ebenbürtig.«
»Moussu, das ist ein goldenes Wort! Ich gehe jetzt meinen Anführer fragen.«
Bald darauf kehrte er mit einem großen, hageren, sehr dunklen Mann zurück, dessen Blick mir nicht gefallen wollte: in seinen Augen war ein wildes Leuchten.
»Monsieur, ich bin Jacques de Possaque, Quartiermeister der Kavallerie bei Hauptmann Bouillargues. Wie ich höre, begehrt Ihr Einlaß. Darf ich fragen, was Euch in die Stadt führt?«
»Wir möchten nur eben Eure schöne Stadt besuchen«, sagte ich, nicht gelüstig, ihm mitzuteilen, daß ich bei Monsieur de Montcalm wohnen würde, der königlicher Beamter und obendrein Papist war, mithin bei den Unseren gewiß nicht in sehr gutem Geruch stand. »Wir sind Scholaren aus Montpellier, und ich habe ein Schreiben von Hauptmann Cossolat an den Hauptmann Bouillargues.«
Ich zog den Brief aus der Satteltasche und zeigte ihm die Anschrift auf dem Umschlag, ohne ihm den Brief auszuhändigen. Doch selbst versiegelt wirkte er wie ein Zauberschlüssel.
»Monsieur«, sagte Possaque (er verdankte sein
de
gewiß nur einem Stückchen Land), »ich werde Euch in die Herberge
Zur Muschel
begleiten und bitte Euch, daselbst zu bleiben, bis Hauptmann Bouillargues Euch aufsuchen kann. Das wird vor heute abend nicht möglich sein. Bis auf die Zitadelle, deren Besatzung zu schwach ist, um uns zu beunruhigen, ist die ganze Stadt in unserer Hand. Und der Hauptmann hat mit den eingefleischten Papisten einige Rechnungen zu begleichen, die nicht Aufschub dulden.«
Hierbei knirschte Possaque mit den Zähnen, und seine Augen leuchteten unheilvoll, verhießen den Papisten wenig Gutes. Ha! dachte ich, blinde Eiferer gibt es also in beiden Lagern!
Possaque gestattete uns Einlaß. Er hieß uns absitzen und die Tiere am Zaum führen. Wir hatten uns einem Trupp von etwa zwanzig Mann anzuschließen, der kunterbunt bewaffnet war; unter den Männern erkannte ich den Wollkämmer Jean Vigier, der die lästige Hellebarde gegen ein Kurzschwert eingetauscht hatte. Er hielt die Waffe blank in der Hand und schien so verzückt ob ihrer Handlichkeit, daß er im Schreiten gewaltige Hiebe austeilte, weshalb Possaque ihn ans Ende der Kolonnebefahl. Er war hocherfreut, uns da wiederzusehen, und ich war froh, daß wir durch ihn von dem Wie und Wieso dieser Tragödie erfuhren, in die wir uns jäh hineingeworfen sahen.
Je näher wir dem Zentrum kamen, desto lauter der Tumult. Nicht daß es Kampf und Widerstand gegeben hätte, die Papisten hielten sich in ihren Häusern verborgen, doch in einem fort marschierten oder rannten bewaffnete Trupps über das Pflaster und schrien ohrenbetäubend: »Läden zu! Läden zu!«, was die Händler denn auch eiligst befolgten, um nicht beraubt zu werden. Im Nu wirkte die Stadt wie ausgestorben, waren die Verkaufsstände abgebaut, die Fenster verrammelt, die Türen verbarrikadiert; die braven Leute hockten hinter ihren Mauern, sofern sie nicht aus vollen Lungen schrien: »Tod den Papisten! Tötet sie! Neue Welt!«
Ha! dachte ich, eine schöne neue Welt, in der wir Leute massakrieren sollen, die denselben Gott haben wie wir, ihn nur ein klein bißchen anders verehren!
»Wollt Ihr hier alle Papisten morden?« fragte ich leise Jean Vigier.
»Aber nein! so üble Türken sind wir nicht!« sagte Vigier. »Den Frauen, den Kindern und auch den gemäßigten Papisten wird kein Haar gekrümmt. Aber die immerzu gegen uns gepredigt und uns den Scheiterhaufen verheißen haben, die werden, wenn wir sie kriegen, nicht mehr so steif gegen den Wind pissen.«
»Verstehe ich recht, Vigier, sie werden hingerichtet? Ohne Prozeß? Und ohne Richter?«
»Ha, woher sollen wir Richter nehmen? Die waren alle auf ihrer Seite und gegen uns!«
Indessen Vigier so sprach, ließ Possaque die Kolonne vor einem recht ansehnlichen Haus halten, trat an die Pforte und klopfte mit dem Knauf seines Degens laut dagegen. Niemand antwortete. Da befahl er den Männern, die Tür aufzubrechen, was ihnen aber nicht gelang, denn sie war aus alten dicken Eichenbohlen und mit drei Eisenbändern verstärkt. Im Oberstock tat sich ein Fenster auf, eine Frau mit weißen Haarflechten, sauber und gut gekleidet, schaute heraus und fragte Possaque nach seinem Begehr.
»Frau, wir wollen diesen Schurken
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