Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
Vom Netzwerk:
Ende der Kolonne beorderte. Dort sprach ich nicht mehr mit ihm, als wir weiterzogen, und er fragte in großer Einfalt:
    »Was ist denn, Moussu? Mögt Ihr mich nicht mehr leiden?«
    »Aber Vigier, einen Wehrlosen anzugreifen! Pfui Schande!«
    »Moussu, der ist nicht irgendwer. Das ist Doladille!«
    »Und wer ist Doladille?«
    »Ein Seidenarbeiter, der dauernd meinen Beruf verspottet.«
    »Und ist das ein Grund?«
    »Auch hat er mir Hörner aufgesetzt mit meinem Weib.«
    »Das ist freilich schändlich …«
    »Ha, Moussu, es kommt noch schlimmer! Er brüstet sich, dieser üble Papist, er wolle mich umbringen, wenn Karl IX. die Hugenotten für vogelfrei erklärt, und dann meine Witwe heiraten: er habe im Hosenschlitz das Erforderliche, um sie ganz flugs zum wahren Glauben zu bekehren!«
    Weiter gedieh unser Gespräch nicht, denn Possaque rief mich und zeigte mir die Herberge
Zur Muschel
, wo er mit lautem Schreien Einlaß begehrte. Die Tür tat sich einen Spalt breit auf, und es zeigte sich die Wirtin, ein geschmeidiges Weib von strammem Busen, stolzem Blick und selbstsicherer Rede.
    »Was soll das!« schalt sie. »Ich habe geschlossen, ganz wie befohlen.«
    »Jetzt wird’s Euch anders befohlen«, sagte Possaque barsch. »Bringt diese Edelleute unter, ohne Feilschen, sie kommen grad eben aus Montpellier und benötigen ein Lager.«
    Hierauf er abzog, um Jagd auf Papisten zu machen, größere Beute sich erhoffend als einen Seiler und einen Seidenarbeiter.
    Die Wirtin, wortlos und mit eisiger Stirn, brachte Samson in einem der Zimmer unter und mich im anderen, während ihr Knecht meinem Miroul beim Einstellen der Pferde half.
    »Meine Beste, was soll das?« fragte ich und hielt sie am Arm zurück, als sie gehen wollte. »Warum seid Ihr so abweisend? Was mißfällt Euch an mir?«
    »Moussu, mir mißfällt nicht Eure Person, mit der ich mich halbwegs anfreunden könnte, sondern Euer Tun.«
    »Mein Tun?« fragte ich baff. »Was habe ich getan?«
    »Ihr seid eigens von Montpellier gekommen, um Euch hier den Meuchlern anzuschließen!« Ihre Augen blitzten.
    »Oh, beste Freundin, das ist Verleumdung!« rief ich. »Nie habe ich jemanden getötet, außer im ehrlichen Kampf. Und ich habe nicht die Absicht, hier … Ich bin nach Nîmes gekommen, um bei einer Person zu wohnen, die papistischen Glaubens ist.Als ich bei meiner Ankunft aber sah, welche Wendung die Dinge hier nehmen, mochte ich den Namen nicht nennen. Nun bin ich bei Euch untergebracht, auf Possaques Befehl, und bedauere sehr, daß es Euch mißbehagt.«
    »Moussu, darf ich Euch glauben?«
    »Das sollt Ihr, meine Freundin«, sagte ich und legte ihr meine Hände auf die Schultern, die straff und fleischig waren. »Ich bin zwar Hugenotte, aber kein eifernder, wie mancher hier in Nîmes.«
    »Moussu, kann ich Vertrauen in Euch haben?« fragte sie etwas sanfter. »Würdet Ihr mir den Namen der Person nennen, bei der Ihr wohnen wolltet?«
    »Meine Freundin, ich tue Besseres: ich zeige Euch den Brief, den ich dieser Person übergeben sollte. Hier ist er.« Ich zog aus meinem Wams den Umschlag hervor und reichte ihn ihr. »Er ist nicht versiegelt. Lest ihn.«
    »Ha, Moussu, Ihr handelt so ehrlich und frank, daß ich Euch immer lieber mag«, sagte sie, nun sehr gütig gestimmt. Doch errötend und ein bißchen beschämt fügte sie hinzu: »Ich kann zwar rechnen, aber kaum lesen, Moussu. Darf ich meinen Koch rufen lassen? Der liest so trefflich wie ein Pfarrer auf der Kanzel und wird mir sagen, ob ich so viel Vertrauen in Euch haben darf, wie ich mir wünschte.«
    Und sie bedachte mich mit einem so herzlichen Lächeln, daß ich nur zustimmen konnte. Nachdem sie ihrem Kammermädchen einiges ins Ohr geflüstert hatte, setzte sie sich auf einen Schemel, ich tat ein Gleiches, und da es nur eben zu warten galt, sah einer den andern stumm an, weil jeder Wohlgefallen hatte an dem, was er da sah, ohne daß schon der Augenblick gekommen war, es auszusprechen.
    Es klopfte, und in der Tür erschien ein Koch, recht wohlgenährt, mit rundem Gesicht und dicker Nase, jedoch gewandt in seinen Gesten. Die Wirtin reichte ihm das Schreiben hin und bat ihn höflich, es zu lesen. Da nun grüßte mich der Koch mit einer kleinen Verbeugung, nahm aber zu meiner großen Verwunderung die weiße Mütze nicht ab. Unaufgefordert setzte er sich und las stumm und mit ernster Miene den Brief, wobei die Wirtin ihn so achtungsvoll betrachtete, wie dies kaum einem Koch von seiten der Herrin widerfahren mag. Als er

Weitere Kostenlose Bücher