Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
Vom Netzwerk:
Ihr hier, Moussu, und ich kann Euch nicht berühren, weil mir die Hände gefesselt sind. Aber wenn Ihr mir Eure Hand auf die Schulter legen wolltet, wäre ich froh.«
    Ich tat, wie geheißen, und sobald sie meine Finger spürte, schmiegte sie ihre Wange dagegen. Da war mir, als läge zuckend ein sterbender Vogel in meiner Hand.
    Der Weg führte bergauf, Maultiere und Pferde gingen im Schritt, zumal es heiß war. Auf dem Hügel angelangt, sah ich in einem Olivenhain zur Rechten den Galgen stehen, daneben auf seinem Pferd, uns erwartend, Cossolat.
    »Da sind wir!« seufzte Fontanette. »Moussu, so habe ich Euch getroffen, um Euch nur um so schneller wieder zu verlieren?« Und mit leiser, kläglicher Stimme setzte sie hinzu: »Achtzehn Jahre bin ich! Wie war mein Leben kurz!«
    O mein Gott! es war, als schlösse sich ein eherner Deckel über mir! Werde ich diesen Augenblick je vergessen können? Den Galgen, die Häscher, den schändlichen Henker, und meine Fontanette, die sie vor meinen Augen töten würden! Jedes Wort, das ich hier niederschreibe, dünkt mir ein Fetzen Haut, den ich mir, im Abstand von dreißig Jahren, von meiner unheilbaren Wunde reiße!
    Sobald Cossolat mich sah, ritt er dicht heran. Plötzlich war ich von Fontanette getrennt und von Soldaten umringt, die mich nicht aus den Augen ließen. Vignogoule stieg von seiner Mähre und band einen Schemel von der Kruppe des Pferdes los. Er kletterte auf den Schemel, befestigte am Galgen ein abgenutztes Hanfseil, stellte den Schemel genau unter die Schlinge und befahl seinem Weib, sich darauf zu setzen. Dann schlurfte er bis zu Cossolats Pferd und fragte, ob er in der Arbeit fortfahren solle. Hierauf Cossolat, zornrot, sich in den Steigbügeln aufrichtete und rief:
    »Mach schon, bei allen Teufeln! Jawohl, mach schnell!«
    »Hauptmann, meiner Kunst widerstrebt jede Eile«, sagte Vignogoule. »Bedacht getan ist gut vollbracht!«
    »Bei allen siebzig Höllenteufeln!« schrie Cossolat, »vor wärts , und säume nicht so lange! Oder ich prügle dich den ganzen Weg zurück bis Montpellier!«
    Vignogoule schlurfte mit fühllosem Gesicht zu Fontanette, doch als er mit verzweifelnder Langsamkeit die Schnur löste, die das Mädchen an die Sattellehne fesselte, quollen seine Augen aus den Höhlen hervor, und sein Atem wurde rauh und fauchend. Ich erbebte und griff nach einer meiner Pistolen. Cossolat legte mir seine Rechte auf den Arm.
    »Dein Versprechen, Pierre!« flüsterte er. Und an den Henker gewandt, brüllte er wieder: »Mach schnell, mach schnell!«
    Der Henker packte Fontanette um die Hüfte, hob sie wieeine leichte Feder von dem Maulesel herunter und schob sie mit der flachen Hand zum Galgen hin. Dabei kehrte sie mir den Rücken zu, doch als Vignogoule ihr befahl, sich auf den Schoß seiner Frau zu setzen, genau unter die Schlinge, drehte sie sich, und bei dieser Bewegung suchten mich ihre Augen, fanden mich und ließen mich nicht wieder los.
    Die Vignogoule schlang ihr die Arme fest um den Leib, vergrub sie gleichsam in die monströsen Fleischmassen. Der Henker zog unendlich bedächtig die Schlinge herab, legte sie Fontanette um den Hals, und ich glaubte schon, er würde sein Versprechen nicht halten. Doch er beugte sich vor, die eine Hand um ihren Hals gelegt, preßte den Daumen gegen ihren Schlund, und ihr Haupt, ohne daß Fontanette einen Schrei oder Seufzer tat, sank leblos herab. Es war vollbracht. Aber ich wollte bleiben, bis er sie hinaufzog, wollte mich vergewissern, daß er sie nicht nur halb erwürgt hatte.
    »Fort hier, Pierre«, sagte Cossolat, »schlagt hier nicht Wurzeln. Sie bewegt sich nicht mehr, kein Zucken und kein Zappeln. Ihr seht, sie ist tot.«
    »Tot?« sagte ich, wie überrascht.
    Ich starrte entgeistert auf Fontanettes bleiches Antlitz, auf ihre weit geöffneten Augen. Mein Gott, war dies das liebe, so lebendige, zarte Mädchen, das ich im Mondschein in meinen Armen gehalten hatte? In der Blüte ihrer Jugend gehenkt!
    »Pierre, bleibt nicht und martert Euer Herz!« sagte Cossolat. »Kommt, ich bringe Euch auf den Weg.«
    Er gab meiner Accla eins auf die Kruppe, sie preschte los, und wir ließen beide den Pferden die Zügel schießen, brachten mindestens zwei Meilen im Galopp hinter uns, gefolgt von Samson und Miroul. Erst später begriff ich, warum Cossolat mich so schnell forthaben wollte vom Galgen: damit ich nicht, aus meiner Trance erwachend, Vignogoule und sein Weib umbringen würde.
    Ich merkte kaum, daß Cossolat uns

Weitere Kostenlose Bücher