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In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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mir auch gleich so scheinen«, sagte der Hauptmann, bedachte uns mit einem Lächeln und hieß uns in der Stadt willkommen, was er vorher nicht getan. »Meine Herren Scholaren, hattet Ihr Händel mit den Banditen der Corbières-Berge?«
    »Und ob! Etliche Meilen vor Lézignan haben wir vier getötet.«
    »Ich bitte Euch, erzählt jetzt nicht weiter. Morgen wird Monsieurde Joyeuse Euch zu sich bestellen, damit Ihr ihm die Geschichte erzählt.«
    Er grüßte uns mit einer Gemessenheit, hinter der sich auch Wärme verbarg, und befahl, uns das Tor weit aufzutun. Und also hielt meine kleine Truppe am 22sten Juni des Jahres 1566 Einzug in Montpellier.
    Auch wenn freilich nicht so alt wie Sarlat, da erst fünfhundert Jahre, ist Montpellier eine sehr viel größere Stadt. Und sehr ansehnlich trotz der engen, verwinkelten Straßen, sind doch die Häuser, zumindest die der Edlen und der Bürger, aus behauenen Steinen, ohne jede Verwendung von Holz an sichtbarer Stelle.
    Unser Weg führte über die Place de la Canourque, den schönsten Platz in Montpellier, auf dem des Abends die Jugend gern flaniert, hier Blicke wechselt, da ein galantes Wort tauscht. Als wir im Schritt über den Platz ritten, sah ich mit Staunen einen langen Zug stattlicher Kavaliere, an ihrer Spitze Musikanten mit Laute und Gitarre. Die jungen Burschen mit dem Gepräge von Edelleuten trugen über den Beinkleidern und Wämsern fußlange Hemdgewänder von makellosem Weiß. In der linken Hand hielten sie eine silberne Muschel und in der Rechten einen silbernen Löffel, mit dem sie gegen die Muschel schlugen im Takt zur Musik, was sehr lieblich klang. Sobald sie aber ein hübsches junges Mädchen auf dem Platz erspähten – und deren waren da so wundervoll viele, wie ich es noch nie erlebt, und schönere, als ich je in einer Stadt erblickt –, eilten sie auf die junge Dame zu, umringten sie, und jeder bot ihr im Hohl seines Löffels etwas Zuckerwerk, davon die Muscheln bis obenhin gefüllt. Es war eine Freude, mit anzusehen, wie sehr diese Offerten die jungen Mädchen verwirrten, wie anmutig sie lächelten, wie verschämt sie taten oder die Gabe zurückwiesen, und im Gegenzug all die Komplimente der Kavaliere, bis einer der hingehaltenen Löffel angenommen war: eine Wahl nicht ohne Bedeutung und Folgen, wollte mir scheinen, die mehr dem darbietenden Kavalier denn dem Zuckerwerk galt. Hatte das junge Mädchen den Inhalt des Löffels in ihre Hohlhand gekippt, wandte man sich – so wollte es das Spiel – von ihm ab (vielleicht nicht ohne ihm ein Stelldichein zugeraunt zu haben) und eilte auf ein anderes Mädchen zu, auch dieses mit Zuckerwerk zu versehen, und so fort. Im Schwarmsummten die Kavaliere von Blüte zu Blüte rund im Kreis, geführt oder gefolgt von den Musikanten.
    Dieses Schauspiel im goldenen Licht eines Juniabends ließ mich für Augenblicke das widerliche Spektakel vom Olivenhain vergessen. Reglos stand meine Accla da, und ich hatte mich in den Steigbügeln aufgerichtet, um diese Gottesgeschöpfe zu beobachten, wie sie schäkerten, lachten und voll Glücks waren.
    »Mein Bruder, weshalb dieses lange Verweilen?« fragte Samson. »Ich sehe hier nur frivole Narrheit und sündige Liederlichkeit. Was hält uns hier fest?«
    Darauf ich, ein bißchen pikiert, antwortete:
    »Unseren Balken vergessend, betrachten wir genüßlich den Splitter im Auge des Bruders.«
    Mein armer Samson lief puterrot an, mich aber reute meine Anzüglichkeit auf der Stelle, wollte ich doch nicht noch Reisig in das ihn verzehrende Feuer werfen.
    Wir hatten noch ein Stück zu reiten und mußten auch das Judenviertel durchqueren (wo wir aber, weil es schon Abend war, keine Menschenseele sahen), bis wir endlich die Rue de la Canebasserie erreichten. Zwischen dieser Straße und der Rue de la Barrelerie erstreckte sich die Place des Cévenols, so benannt, weil an den Sonntagen die stellungslosen Landbewohner der Cevennen sich dort einfinden, um ihre Arbeitskraft zu verdingen. Schon von weitem sah ich die große schöne Offizin von Meister Sanche, und zu meiner Verwunderung, denn ich hätte ihn nicht von so schlichter Lebensgepflogenheit gehalten, saß der große Apotheker vor der Tür und genoß zusammen mit seiner Familie die Abendkühle. Auf Anhieb hatte ich ihn nach meines Vaters Beschreibung erkannt. Ich stieg vom Pferd, warf Miroul die Zügel hin, zog meinen Hut, grüßte den Meister mit tiefer Verbeugung und sprach auf lateinisch (wußte ich doch, daß er sich gern der

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