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In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Glücklicherweise war das Weizenbrot gut und nicht bemessen, davon füllte ich mir das merkliche Hohl nach bestem Vermögen. Ha, Fontanette! sann ich, während sie servierte, du bist knusprig zum Anbeißen, ei gewiß,aber wie unsere Leute in Mespech sagen: Schönheit kann man nicht essen. Mein Samson freilich wußte gar nicht, wo er war und was er verzehrte. Er nährte sich von seinen Träumen. Ich dagegen mußte immerfort an das
Einhorn
denken, an die
Zwei Engel
, an den
Goldenen Löwen
und erst recht an die Kuchenstücke der Patota, weshalb mir denn da an der Knausertafel von Meister Sanche das Wasser im Munde zusammenlief. Und wieder dachte ich an Mespech, an die perigurdinische Küche der Maligou, so schnucklig, lecker, saftig gar. Denn wie dumm diese Trine auch sein mochte, wie geschwätzig, götzendienerisch und abergläubisch, dazu ein lockeres Weib – die Braten gerieten der Maligou wundervoll, weshalb mein Vater ihr stets alles verziehen hatte, auch daß sie ihre Lenden am Pfarrer von Marcuays gerieben unter unserem Dach! in unserem hugenottischen Hort!
    Unterdessen ich die mageren Happen des traurigen Mahls kaute, war die Ehefrau unseres Gastgebers im selben Raum am Entbinden, nur durch einen Baumwollvorhang von uns getrennt; in unsere Speisung mengten sich die Klagelaute, die Schreie und das Gestöhn der Gebärenden, dazu die anspornenden lauten Rufe der ihr beistehenden zwei Gevatterinnen. Meister Sanche schien davon wenig beeindruckt, redete aber recht laut, um sich verständlich zu machen, und dissertierte ausführlich über seine neue Mixtur gegen Bauchfluß, die von verläßlicher Wirkung sei. Als das Schreien noch lauter wurde, wandte er gleichwohl den Kopf nach dem Vorhang hin und sprach:
    »Meine arme Rachel hat, scheint’s, große Mühe und Pein, mir diesen Sohn zu gebären. Balsa, geh, hol mir Odermennig aus der Offizin.«
    Balsa enteilte mit vollem Mund und brachte einen Salbentopf. Der Meister rief eine der beiden Hebammen und befahl ihr gestreng:
    »Gevatterin, reibt der Kreißenden damit die Innenseite der Schenkel ein und sprecht das Sonntagsgebet. Dies wird meiner Frau das Entbinden erleichtern.«
    Die Gevatterin, nachdem sie sich tief verbeugt und dreimal bekreuzigt hatte, griff den Topf mit großem Respekt und verschwand eilends hinter den Vorhang, den Auftrag zu befolgen.
    »Meister Sanche, ich kenne Odermennig als vorzügliches Heilmittel bei Hautgeschwüren, wußte bloß nicht, daß es auch beim Entbinden hilft«, sagte ich.
    »Dem ist aber so!« sagte Meister Sanche. »Ich berufe mich auf eine große und würdige Autorität. Die Anwendung
in situ
1 wird von Bernard de Gordon in seinem gelehrten
Lilium Medicinae
ausdrücklich empfohlen, und ich habe es mehrfach erprobt – und nicht ohne Erfolg – bei den Entbindungen meiner verstorbenen Ehefrauen.«
    Fogacer lachte hellauf, und Meister Sanche rief ein bißchen pikiert:
»Medice, visne castigare ridendo medicinam meam?«
2
    »Non decet, magister illustrissime
«
, erwiderte Fogacer, dabei seine teuflischen Brauen sich gegen die Schläfen hin hoben .
»Felix est qui potuit rerum cognoscere causas.«
3
    »Und warum lachst du dann?« fuhr Meister Sanche fort, von einem gellenden Schrei unterbrochen. »Gevatterin, reibt mit der Salbe!« rief er zum Vorhang hin. »Und knausert nicht mit den Vaterunsern!«
    Da die Hebammen beide Mittel nun gewiß eifervoll anwandten, trat bald wieder Ruhe ein, nur noch gelegentlich war leises Stöhnen zu hören.
    »Hochrühmlicher Meister«, fuhr Fogacer fort, »erstens bezweifle ich nicht die Wirksamkeit Eurer Medizin. Zweitens bin ich ein braver Christ und stelle mitnichten die wohltätige Wirkung eines Vaterunsers in Abrede. Allerdings negiere ich das Ineinsgehen des ersten mit dem zweiten. Entweder ist es die Salbe, die der Gebärenden Linderung bringt, oder das Vaterunser. Im ersten Fall ist das Vaterunser unnütz. Im zweiten Falle das Odermennig.«
    »Medice, navita de ventis, de tauris narrat arator«
4 , sprach Meister Sanche. »Winde und Ochsen aber sind nicht ein und dasselbe. Das Weib gebiert unter Schmerzen, doch der Schmerz eignet der Seele ebensosehr wie dem Leib. Ergo tut es gut, beide Heilmittel anzuwenden: Odermennig ist Balsam dem Leib, und das Vaterunser gibt Linderung der Seele …«
    Mitten in seine Rede hinein meldete sich mit gellendem Schreien die arme Rachel.
    »Gevatterinnen!« rief Meister Sanche ärgerlich, »wir verstehen hier unser eigenes Wort nicht mehr! Reibt ordentlich

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