In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
an das Gesicht des Hirtenmädchens erinnern konnte, doch wenigstens wußte er, daß er ihr Sohn war. Meine Mutter war zeit ihres Lebens zu stolz gewesen, Samson je anzusprechen, ihn eines Blickes zu würdigen oder seinen Namen zu nennen.
»Aber warum hat man sie in Stücke gehauen?« fragte ich traurig. »Hängen allein langte wohl nicht?«
»Pah, ist doch Jacke wie Hose«, sagte der Mann. »Wenn einer tot ist, kann es ihm gleich sein, ob er wie Ochs auf der Fleischbank zerhackt wird oder ein Ganzes bleibt. Hier in Montpellier ist es Brauch, die Gehenkten in Stücke zu hauen.«
»Wieviel Grausamkeit entschuldigt der Brauch!« sprach ich,an Miroul gewandt, um so zu tun, als sähe ich Samsons Tränen nicht. »Wenn ein Mensch tot ist, gehört seine sterbliche Hülle dem Herrgott, der sie am Tage des Jüngsten Gerichts nach seinem Willen auferwecken wird.«
»Dieser Tag ist nicht schon morgen«, sagte der Bauersmann mit einem tiefen Seufzer. »Bis es soweit ist, müssen wir uns plagen und Mangel leiden. Den kleinen Leuten der kleine Beutel. So schön die Sonne hier scheinen mag, wir können sie nicht essen.«
»Freund, du bist so hager. Hast du nicht zur Genüge Nahrung?«
»Zur Genüge?« Der Bauersmann tat einen bitteren Lacher. »Großes Elend, Moussu, ist im Geäst dieses Ölbaums, und großes Elend von anderer Art auf dieser Erde unter meinen Füßen. Ich weiß nicht, welches das schlimmere ist.«
»Miroul, gib ihm von unseren Kuchenstücken«, sagte ich.
»Moussu«, wehrte der Mann hochfahrend ab, »ich habe mein Lebtag nie gebettelt.«
»Schlag es bitte nicht aus, es ist nicht Priestergabe, sondern Freundesgeschenk«, sagte ich.
Miroul kramte in den Satteltaschen, reichte ihm ein Stück Weizenkuchen, danach der Mann mit seinen dürren Fingern gierig schnappte, aber ohne Dank und ohne einen Blick, wie in Scham, daß er unverdient Speisung empfing.
»Reiten wir weiter!« sagte ich mit einem Kloß im Hals. Wußte ich doch, daß ich mit dieser Gabe nur eben Balsam auf mein Gewissen gestrichen, aber nichts geheilt hatte.
Wir ritten eine Weile im gestreckten Galopp. Der Weg wurde schlechter und führte bergauf, unsere Pferde schnoben; ich ließ sie im Schritt gehen und versuchte, das Bild zu vergessen, das mich quälte: der als warnendes Beispiel zerstückelte Körper. Wovor warnte das Beispiel? Vor der Barbarei, deren Opfer er war? Und war es nur bitterer Zufall, daß sie eine mit so schönen Bäumen bestandene Flur als Hinrichtungsstätte gewählt? Hatte keiner bedacht, daß es Ölbäume waren, darunter Christus vor seiner Kreuzigung betend die Nacht verbracht?
Die Gemeine Einfriedung ist eine stattliche Ringmauer, auch wenn nicht so mächtig und gut bewehrt wie die Mauer von Carcassonne. Von Narbonne her kommend, passiert man siedurch das Salinen-Tor, vermutlich so benannt nach den hier in die Stadt einfahrenden Salzkarren.
Wir mußten an der Einlaßpforte weiße Pfote vorweisen, nämlich den uns vom Seneschall in Sarlat ausgestellten Geleitbrief, und hatten zu erklären, was wir in Montpellier zu tun gedächten und bei wem wir Herberge nehmen wollten. Meine Antworten befriedigten den Hauptmann der Stadtgarde, der uns freilich ermahnte:
»Meine Herren Scholaren, Ihr solltet Euch gut merken, daß innerhalb Eurer königlichen Kollegs und in den anliegenden Straßen das Tragen von Degen und Langdolch verboten ist. Streng untersagt sind auch jegliche Fehden, Beleidigungen, Prügeleien und zumal Duelle zwischen den Schülern, die wie jeder andere hier wegen Kapitalverbrechen gehängt oder, sofern sie Edelleute wir Ihr, enthauptet werden können; in beiden Fällen aber werden sie vom Henker noch in Stücke gehauen.«
»Monsieur, wir sind studierwillige Leute und dürsten nicht nach Blut, wie sehr wir auch gegen die Gefahren der Landstraße kriegsmäßig bewaffnet sind.«
»Ich tadle Euch dessen nicht in diesen wirren Zeiten. In Montpellier aber ist jetzt alles friedvoll ruhig. Die Katholiken und die Protestanten geben sich den Anschein von Versöhnlichkeit.« Hier musterte er uns plötzlich scharf und fragte: »Und Ihr, meine Herren Scholaren, welcher Partei gehört Ihr denn an?«
Die unverhoffte Frage wunderte mich sehr, ich zögerte zu antworten. Doch nach genauerer Betrachtung des Mannes – er war von gemessen ernster Miene und kerniger Haltung – meinte ich, gefahrlos die Wahrheit sagen zu dürfen.
»Monsieur, wir gehören beide, ebenso mein Diener, dem reformierten Glauben an.«
»Das wollte
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