In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
biß sich manchmal auf die Lippe, legte die Stirn in Falten, seufzte gelegentlich. Ich wette, ihm war kaum bewußt, daß er auf seinem Pferd saß. Wenn ich ihn von der Seite musterte, konnte ich deutlich sehen, was ihn da bewegte an Erinnerungen, an Träumen, an Reuegedanken, so sehr war der Ärmste innerlich hin und her gerissen, unterdessen seine Augen so beseligt dreinschauten oder aber so schauervoll entsetzt, als täte sich unter den Hufen seiner Stute grad eben die Hölle auf.
Wie viele Olivenhaine den Weg auch säumen mochten, jenen einen, in dem der Henker von Montpellier so viele arme Teufel in den Tod beförderte, erkannte ich auf Anhieb, denn schon von ferne sah man einen Galgen aufragen, kerzengerade zwischen den annehmlich geschwungenen Bäumen und sehr finster zwischen dem hellen Laub, darin man schon die Früchte zu erahnen meinte, die im September reifen würden.
Einen Menschen zu töten ist – außer mit Schwert und Arkebuse – eine Angelegenheit von wenig Phantasie. Die einfachste Maschine reicht dafür aus: drei Hölzer im Winkel gefügt, das längste in den Erdboden getrieben, am kürzesten der Strick befestigt, an dessen Ende alsdann der Gehenkte zappelt, während sein Richter sich den Wanst füllt, bis er seinerseits vor unser aller Richter tritt, in die Grube fährt und da verfault. Ein dürftiger Unterschied, der es nicht rechtfertigt, daß dem einen viel Ehre zuteil wird und so viel Unglück dem anderen.
Der Galgen war gottlob unbestückt, doch zu früh hatte ich aufgeatmet, denn meine Accla unter mir schnaubte, ich griff zum Zügel, hielt sie an, ein fader, süßlicher Geruch behelligte meine Nase! Ich schaute in die Höhe und war jäh entgeistert: da hingen im stattlichsten der Ölbäume die Teile eines weiblichen Körpers; der Kopf war mit den eigenen Haaren an einem der Äste befestigt, während die Beine, die Arme und der Rumpf mit Hanfschnüren an andere Äste gebunden waren. Obwohl die Leiche mindestens schon acht Tage da hing, war sie von den Vögeln noch nicht so zerpickt, daß man Bauch und Brüste nicht mehr erkannt hätte. Die arme Kleine, an deren zartem Leib sich hier die schändliche Neugier der Menschen und die gefräßigen Schnäbel der Raben weiden durften, war zunächst gehenkt worden. Dann hatte der Henker die Tote vom Galgen genommen, hatte ihr das Hemd ausgezogen, den Leichnam mit seinem großen Schwert in Stücke gehauen, wie der Schinder es mit den Tierkadavern tut, und hatte die Stücke warnend zur Schau ausgehängt an diesem schönen Baum, den solches nicht eben mehr belastete als ein toter Vogel.
Mein Samson, plötzlich aufgewacht, betrachtete mit trauriger Miene diese faulenden Stücke, während Miroul bei ihrem Anblick blaß wurde und seine gute Laune verlor, vielleicht fiel ihm ein, daß er dem Galgen in Mespech nur um Haaresbreite entkommen war. Ich sah nahebei einen Bauersmann, der mitlangsamer, kraftloser Armbewegung die Brennesseln am Feldrain mähte, ohne je aufzuschauen zu diesen Menschengliedern.
»Freund, ist dies dein Feld?« fragte ich ihn.
»Nein«, sagte der Mann. Er war lang und dürr, schien fast so schmal zu sein wie seine Sense. »In diesem schönen Languedoc gehört mir nichts als ein Mund zum Essen und meine Arme, ihn zu nähren. Das Feld gehört meinem Herrn, der es leider an die Konsuln von Montpellier verpachtet hat zum Aufstellen des Galgens, obwohl die Oliven sehr gut sind, auch die von jenem Baum da (er sagte es, ohne hinzuschauen). Ich jedenfalls arbeite nicht gern in diesem Gestank, den der Wind manchmal bis in mein Haus weht.«
»Freund, weißt du, wer dieses arme Mädchen war? Und was sie getan, um solche Strafe zu verdienen?«
»Den Namen weiß ich nicht, aber wie mir die Büttel erzählten, hat sie ihr Kindelein erstickt, weil sie ihm keine Milch mehr geben konnte. Der Taugenichts, der sie geschwängert, hat sie ohne einen Sol sitzenlassen.«
»Den Kerl hätte man hängen sollen, nicht das Mädchen«, preßte Miroul zwischen den Zähnen hervor.
»Ich weiß nicht, ich bin nicht klug genug, um urteilen zu können«, sagte der Mann. »Aber wäre der Taugenichts Graf oder Baron gewesen, dann wäre das Kind ein stolzer Bastard geworden, und weder ihm noch seiner Mutter hätte es je am guten Essen gemangelt.«
Bei dem Wort »stolzer Bastard« wandte Samson stumm den Kopf ab, und die Tränen traten ihm in die Augen. Drei Jahre alt war er gewesen, als seine Mutter in Taniès der Pest erlag. Und ich bezweifle, daß er sich noch
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