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In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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unschuldhafte Miene rührte mich. Zum ersten Mal blieb ich, sonst nicht auf den Mund gefallen, die Antwort schuldig, von sehr gegensätzlichen Gefühlen bewegt: meine begehrlichen Wünsche und mein süßes Mitgefühl zappelten wie Heringe im Netz. In Wahrheit fand ich und finde es noch heute sehr ungerecht, daß man den armen Mädchen eine Tugend abverlangt, die den Knaben niemand zumutet. Aber was täten letztere, wenn die Mädchen sich immer nur abhold zeigten?
    Fontanette ging im Zimmer hin und her, sammelte meineüberall verstreute Kleidung auf und legte sie ordentlich hin. Dann bewunderte sie meine Waffen.
    »Moussu, wie nennt man diese kurze Arkebuse?«
    »Pistole.«
    »Und dieses kurze Schwert?«
    »Plempe.«
    Bei diesem Wort mußte sie lachen, errötete aber zugleich. Um sie von ihrer Verschämtheit zu befreien, fragte ich:
    »Was, Fontanette, ißt man hier zum Frühstück?«
    »Eine Suppe.«
    »Suppe, iiih!« Ich verzog das Gesicht zur Grimasse. »Milch gibt es keine?«
    »Milch! Aber Monsieur, wir sind hier nicht in Euerm Périgord! Das Land um Montpellier ist Stein, Geröll und Sand. Hier wachsen Ölbaum und der Wein, aber kein Gras für Eure Kühe.«
    »Also keine Milch. Hat diese Suppe wenigstens ein paar saftige Happen Schweinefleisch?«
    »Schwein? Derlei kennt man nicht in diesem Haus. Der Meister mag es nicht.«
    »Was! kein Speck, kein Schinken, keine Wurst? Und auch keine Pasteten?«
    »Kein kleines bißchen. Aber da fällt mir ein, mein edler Moussu: der Herr Bakkalaureus hat mich geschickt, Euch zu wecken, er möchte sich mit Euch unterhalten.«
    »Und das sagst du erst jetzt? Fontanette, scher dich!«
    »Moussu, darf ich bleiben, bis Ihr Euch angekleidet habt?«
    »Aber Fontanette, dann siehst du mich ja nackt!«
    »Den Moussu Luc sehe ich jeden Morgen nackt wie einen Wurm, und Ihr seid besser gebaut, strammer, kerniger …«
    In diesem Ton fuhr sie die ganze Zeit fort, unterdessen ich mich anzog. Es war sicher ihre Unschuld, die sie so plappern ließ. Ich mochte sie aber nicht verscheuchen, obwohl es mich arg verwirrte, daß sie mich so begaffte und mir soviel Lob spendete.
    Ich fand den Bakkalaureus Fogacer beim Schlürfen seiner Suppe. Es war, leider, nur eine Gemüsesuppe, ohne ein Stückchen Fleisch. Doch so groß war mein Hunger seit dem Abend, daß ich mich mit an die Tafel setzte. Von Luc, der schönen Typhème, Balsa und dem Meister keine Spur, und Fogacer, der sich ordentlich den Bauch gefüllt hatte, sprach zu mir:
    »Siorac, zwischen uns keine Förmlichkeiten, darum bitt ich Euch. Nennt mich nicht Bakkalaureus, und ich tituliere Euch nicht Monsieur. Bringt Eure Kraftbrühe zu Ende, dann führe ich Euch auf das Dach – dort redet es sich ungezwungener.«
    Ich wußte nicht, daß dieses Dach, über eine Wendeltreppe zu erreichen, eine schöne breite Terrasse war, wo sich dem Auge die ganze Stadt Montpellier darbot. In der Ferne entdeckte ich das Mittelmeer als dunkleres Blau vor dem Azur des Horizonts, in tausend Feuern schillernd unter der strahlenden Sonne. Mir, der ich zeit meines kurzen Lebens ein so großes Wasser nie gesehen hatte, blieb bei diesem Anblick der Mund offen.
    »Fogacer«, rief ich bewegt, »muß man dem Herrgott nicht danken, daß er dieses Wunder geschaffen und der Erde geschenkt hat?«
    »Das will ich gern tun«, sagte Fogacer, seine teuflischen Brauen hebend, »doch dabei darf man es nicht belassen. Zu danken hat man ihm auch für die Unwetter, die Orkane, die sintflutartigen Regen, die Dürren, den Blitz, die Vulkanausbrüche, die Erdbeben; zu danken auch für den Schierling, die Wolfskirsche, die Teufelswurz, das Bilsenkraut und unzählige andere Gewächse, daraus die Gifte bereitet werden; zu danken auch für Bär, Wolf, Wildschwein, Fuchs, für Afrikas Raubtiere, für Viper, Tarantel, Skorpion und jenes Gewimmel an Ungeziefer, Würmern und Pilzen, die unseren nützlichsten Pflanzen Schaden zufügen. Und ist das alles? Mitnichten! Ein großes Geschenk ist es auch, daß uns der Herrgott mit Keuchhusten gesegnet hat, mit Ziegenpeter, Pocken, Wassersucht, Sumpffieber, Lepra, Schwindsucht und sonderlich mit den Kleinodien des Menschseins: Lustseuche und Pest.«
    Ich war baß erstaunt über diese ketzerische Rede und den ernsten Spott, in dem Fogacer sie vorgetragen.
    »Gewiß«, räumte ich nach einer Pause ein, »das Böse existiert. Aber da Gott nur das Rechte und Gute tut, muß das Böse zu einem Plan gehören.«
    »Plan?« fragte Fogacer. »Was für ein

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