In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
vorbeizieht?
Warum zerwühlt von schwarzen Ebern,
verwüstet von den wilden Tieren,
was Gott selbst hier hat angepflanzt?
Diese Klagen brachten die unsäglichen Verfolgungen Israels in Erinnerung, und Typhème, dann Luc und schließlich Meister Sanche begannen lautlos Tränen zu vergießen, obschon keiner am eigenen Leibe die Folterungen und Autodafés in Spanien und Portugal erlebt hatte, wo so viele der Ihren umgekommen waren, ehe man die anderen aus dem Land jagte. Die entsetzlichen Berichte ihrer Vorfahren, die blutgetränkten Erzählungen ebenjener, die Ludwig XI. in das Languedoc aufgenommen hatte, hafteten desto lebhafter im Gedächtnis, alsdie Nachkommen den judäischen Riten insgeheim bis auf diesen Tag treu geblieben waren und noch immer Gefahr liefen, von den Nachbarn angeschwärzt, von den Priestern beschnüffelt, von den Richtern verurteilt zu werden, dem blinden Wüten der gemeinen Masse ausgesetzt zu sein.
Und freilich wußte ich, daß der Glaube an die Göttlichkeit Christi uns Reformierte von diesen Maranen trennte. Rom aber hatte die Unseren, seit Franz I., so sehr mit Verlies und mit Scheiterhaufen gepeinigt, daß beider Verfolgung als auch der tägliche Umgang mit der Bibel uns einander näher brachten, wenn nicht vollends in den Glaubenssätzen, so zumindest in den Empfindungen. Denn das Volk Israel, für das dieser Psalm geschrieben worden war, bezeichnete in unserem Verständnis auch die Menschen unseres Glaubens. Ich brauchte mich nur daran zu erinnern, wie tief bewegt mein Vater und mein Onkel sich zeigten, wenn Miroul diese Verse sang; dann entsannen sie sich, wie 1562 das Parlament die Hugenotten für vogelfrei erklärt hatte und es in Stadt und Land den Katholiken erlaubt war, die Protestanten zu berauben und ungestraft zu töten: schrecklicher Auftakt zum ersten unserer Bürgerkriege. Doch der Psalm endete irgendwie in Zuversicht, die uns nach so viel Tränen und Würgen im Hals den Kopf wieder heben ließ und uns die Brust weitete.
O Herr, Erbarmen deinem Weinstock!
Und wenn dies Volk, das du dir gabst,
sich deiner wenig würdig zeigte,
sei ihm gewogen und vergib ihm.
Dein Arm sei heute eine Stütze
den Kindern, die du hast beschützet.
Ermunt’re uns durch deine Gnade;
wir treten vor dein Angesicht.
Mit dem letzten Akkord setzte sich Miroul wieder nieder. Minutenlang herrschte Schweigen, keiner brachte den mindesten Ton hervor, wir blickten nur einander an mit geröteten Augen, bebenden Lippen und waren eins, getaufte Juden und Reformierte, in der Erinnerung an eine grausame Vergangenheit und in der Hoffnung auf eine sieghafte Zukunft.
FÜNFTES KAPITEL
Erst fünf Tage befanden wir uns in Montpellier, und gerade hatte ich mich des Morgens angekleidet, als Fontanette mir höchst aufgeregt Meldung brachte, ein Offizier der Stadtgarde wünsche mich unten zu sprechen. Gleich eilte ich die Treppe hinab, und im Vorraum erkannte ich jenen Hauptmann wieder, der uns bei unserer Ankunft Einlaß durch das Salinen-Tor gegeben hatte, nicht ohne uns nach unserem Glauben gefragt zu haben. Der Mann war stämmig untersetzt, kernig muskulös, ein gerader Rücken, das Haupt hoch erhoben und Auge, Haar und Haut sehr dunkel. Er trug Degen und Langdolch, nicht aber Helm und Kettenhemd, lediglich ein rotes Wams und ein Beinkleid von gleicher Farbe, die Ärmel indes schwarz und ebenso das Barett. Seine Miene war sehr ernst, jedoch weniger harsch und abweisend, als es zunächst hatte scheinen wollen, denn sein Blick barg ein freundliches Leuchten. Er grüßte höflich, stellte sich mit Namen vor: er heiße Cossolat und sei beauftragt, mich zu Monsieur de Joyeuse zu führen, der mit mir Unterredung wünsche.
»Wie!« sagte ich, »will man mich verhaften, mich ins Gefängnis sperren, mich für das Verbrechen strafen, ein Hugenotte zu sein?«
»Nichts von alledem«, erwiderte Cossolat lächelnd. »Auch ich bin Anhänger der Religion. Monsieur de Joyeuse ist Katholik, aber fürwahr kein Eiferer, und ich diene treulich einem papistischen Gouverneur. Gäbe Gott, es vertrügen sich alle Papisten und Hugenotten in dieser Stadt so gut wie er und ich. Doch das ist nicht der Fall. Das Edikt von Amboise hat den Papisten hier ihre alte Macht zurückgegeben, seither gibt es Trubel, Intrigen, Schurkereien. Die Papisten sinnen auf Rache. Sie fürchten unsere Stärke. Sie stiften unwissende Bauern an, Steine gegen die Häuser der Unseren zu werfen. Und die Heißsporne unter den Reformierten
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