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In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Sublimat verwenden.«
    »Welches Heilmittel gilt für Patienten, die nicht das Bett hüten können, sondern geschäftehalber ausreiten müssen?«
    »Ihnen verabreiche man Rotbartpillen.«
    »Wunderbar! Alles gewußt und binnen weniger Tage gelernt! Herr Bakkalaureus Fogacer, falls Euch Monsieur de Siorac bis Sankt Lukas zufriedenstellt mit seinen Kenntnissen in Logik und Philosophie, ist er in unser Kolleg einzuschreiben.
Dignus est intrare
1 .
«
    »Herr Kanzler!« rief ich errötend, »ich schulde Euch unendlichen Dank!«
    »Nicht im mindesten, Euer Verdienst allein hat gesprochen. Herr Scholar«, fuhr er fort, erstmals diese Anrede verwendend, »habt Ihr Euch schon einen Studienvater erkoren unter den vier königlichen Professoren?«
    »Darf ich Euch bitten, Herr Kanzler, mir Vater für die Dauer meines Studiums zu sein?« fragte ich.
    »Das solltet Ihr nicht tun, Siorac«, erwiderte Rondelet. Er machte plötzlich ein trauriges Gesicht und musterte mich ernst. »Ich bin alt, bin nicht gesund, mein Leib ist durcheinander, inAbständen peinigt ihn das schleichende Fieber, ich bin fast am Ende des Fadens, den mir die Parzen spinnen.«
    »Trotzdem reitet Ihr morgen nach Toulouse!« rief Fogacer voll Unmut. »Meister, das ist Irrsinn! Hundertmal habe ich es Euch versichert.«
    »Zürnt mir nicht, Fogacer. Meine Schwäger brauchen mich dringlich.«
    »Und seid Ihr nicht selbst in arger Not?«
    »Ach, Fogacer! Ob ich hier sterbe oder anderswo … Wäre ich Herr meiner Geschicke, ich würde nicht den kleinen Finger rühren, um mein Leben zu verlängern. Ich habe schlimm gelitten, der Tod hat mir zu viele der Meinen geraubt. Jetzt träume ich nur noch, sie im Himmel wiederzufinden, wenn Gott mir gnädig ist. Auf Erden habe ich genugsam gelebt.«
    Bei diesen wehmütigen Worten blieb Fogacer stumm und hat wohl, wie ich, einen Kloß im Halse gespürt. Rondelet, unserer Verwirrung ansichtig, lächelte gleich wieder und sprach, an mich gewandt:
    »Siorac, wählt Euch zum Vater den Doktor Saporta. Saporta in seinen Launen ist nicht leicht zu ertragen, doch er ist ein guter, pflichtbewußter Arzt.«
    »Herr Kanzler, ich werde Euern Rat befolgen«, sagte ich.
    Hierauf erhob sich Rondelet, ein wenig erschöpft, und gestattete uns den Rückzug, nachdem er uns liebevoll umarmt hatte.
    »Siorac«, sprach er, beide Hände auf meinen Schultern, »hört meinen Rat: Ihr dürft über der Praxis nie das Studieren vergessen. Studium ein Leben lang! Schreibt Euch das Wort
studieren
mit goldenem Stilett ins Hirn ein. Nur um den Preis nimmermüder Anstrengung werden wir die tödlichen Krankheiten besiegen, die uns so grausam unsere Liebsten rauben. Doch keine Übertreibung: arbeitet nicht in einem Maße, daß Ihr darüber benebelt und mürrisch werdet. Ihr seid ein Mann und werdet es bleiben, wenn Ihr all Eure Fähigkeiten gleichmäßig anwendet, die geistigen, die körperlichen und die erotischen. Aber was letztere betrifft (er lächelte ergötzlich), muß ich Euch deren Gebrauch erst empfehlen?
Vale, mi fili
1 .
«
    Noch einmal umarmte er mich und ließ mich dann ziehen.
    »Siorac«, sprach Fogacer zu mir, als wir wieder durch die Rue du Bout-du-Monde schritten, »Siorac, denkt gut über dieses Beispiel nach: wenn Ihr eine Frau liebt, heiratet sie nicht. Euretwegen wird sie im Kindbett sterben, und sterben werden Eure Kinder im frühen Alter. Meister Sanche, obzwar ein großer Apotheker, verlor trotz Odermennig zwei Ehefrauen, und von den zehn Kindern, die sie ihm gebaren, haben nur vier überlebt. Von Rondelets sieben Kindern sind fünf gestorben. Dies leider ist auf Erden das Los unserer bejammernswerten Spezies: wer heiratet, opfert dem Tod. Gehabt Euch wohl, Siorac! Ich sehe, sehr unnütz ist’s, daß ich Euch predige. Allzusehr seid Ihr den jungen Mädchen zugetan, in gar zu zarter Liebe. Ihr werdet viel zu leiden haben.«
    Jäh machte er kehrt und entschwand, mit seinen Langbeinen auf dem unebenen Pflaster ausgreifend, und ließ mich verwundert zurück. Ja, wie denn, soll einer mönchisch leben, nur weil die Frau zerbrechlich ist, und soll einer keine Söhne und Töchter haben, nur weil sie so oft in der Blüte ihrer Jahre sterben? Alle müssen wir sterben und sind vom Wickelalter an so sehr dem Tod geweiht, daß manch einer von solchen Trauerfällen kein Aufhebens mehr macht. Ich hörte Michel de Montaigne, lange nach meiner Studentenzeit, in seiner Bibliothek zu mir sagen: »Ich habe drei oder vier Kinder in zartem Alter verloren,

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