Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
Vom Netzwerk:
Kanzler, darf ich sprechen?« fragte Fogacer.
    »Du darfst.«
    »Herr Kanzler, erlaubt Ihr mir gütigst, für Meister Sanche zu plädieren?«
    »Du darfst.«
    »Herr Kanzler, welcher Arzt würde Euch nicht zustimmen? Aber Meister Sanche respektiert mehr als jeder andere Apotheker dieser Stadt unsere Rechte. Er verweigert, wenn er darum gebeten wird, das Schröpfen und den Aderlaß, indes manche seiner Kollegen dies heimlich tun …«
    »Ja, ich weiß von diesen teuflischen Abscheulichkeiten«, rief Saporta. »Ich werde hart dagegen angehen!«
    »Auch unterläßt er Diagnosen und Prognosen, sagt immer wieder ganz bescheiden:
Non sum medicus
1 , und gibt Arznei nur auf Rezept aus.«
    »Das stimmt, Meister Sanche gehört nicht zu den schlechtesten. Doch er beobachtet den Urin! Das ist ein kapitales Verbrechen und eine so ungeheuerliche Anmaßung, daß ich es auch bei ihm nicht dulden kann, selbst wenn er mir zehntausend Töchter zur Frau gäbe.«
    Des Kanzlers Augen sprühten Feuer, sein Gesicht war verzerrt, die Nase weiß und spitz, er keuchte – nicht nur die Mißbräuche, die seine Wut entfachten, schien er dem Scheiterhaufen zu überantworten, sondern auch deren Urheber. Ha! dachte ich, ein mürrischer Choleriker! Möge der Himmel mich davor bewahren, jemals sein Mißfallen zu erregen!
    Fogacer, der die wundervolle Gabe hatte, stets im rechten Moment den Schnabel zu halten, zügelte sich in seinem Plädoyer für Meister Sanche und schwieg. Während ich ohnehin nichts sagen durfte, da meine Existenz noch nicht schriftlich ausgewiesen war in der Schulmatrikel.
    Unser beider Schweigen wog letzthin so schwer, daß Saporta seiner gewahr wurde, obwohl er sich mit Blitz und Donner umgeben hatte. Sein funkelndes Auge legte sich auf uns, er schien verwundert, uns da zu sehen, und sagte abrupt und wenig höflich:
    »Unsere Unterredung ist beendet.«
    Und ohne mit einem Wort, einem Zeichen oder Blick unseren Abschiedsgruß zu erwidern, entschwand er.
    Kein leichtes, beim Verlassen des Hauses die
devalada
zu nehmen, wo es von Rotzjungen wimmelte, die mit Kugeln und Kreiseln spielten, ohrenbetäubenden Lärm machten, Trommeln von jeglicher Größe schlugen, die Straße mit ihrer Notdurft bekleckerten, die Passanten vollpißten oder anzüglich ihre Pimmel zeigten und schweinische Lieder sangen; obendrein mußte man hierhin und dorthin springen, um sich vor ihren Wägelchen zu retten, die mit gewaltigem Krach den Hang herunterpolterten.
    »Die reinste Hölle hier!« sagte ich.
    »Nachts ist es noch schlimmer«, sagte Fogacer. »Am Tag seht Ihr hier nur Kacke und Pisse. Nachts aber fließt das Blut. Die Mädchen werden vergewaltigt, die Burschen hinterrücks mit Messerstichen ermordet und ausgeplündert.«
    »Und die Nachtwache?«
    »Die wird verprügelt, wenn sie sich hierher vorwagt. Die Schurken fürchten nur Cossolat und seine Garde und ein paar hiesige Edelleute, die Rache schwören, wenn ein Dienstmädchen behelligt oder ein Lakai getötet wurde, sich kriegsmäßig wappnen, zwei oder drei von diesen Lumpenkerlen in der
devalada
schnappen und sie, übel zugerichtet, an den Galgen bringen. Doch das ist eher nur ein Zeitvertreib der Edlen: die Brut wird dadurch nicht ausgeräumt.«
    »Es ist also wirklich die Hölle! Und wie kann Saporta hier leben, wenn er nicht ihr Pluto ist? Fürwahr, Fogacer, er ist ein schrecklicher Mensch. Und warum muß er mein Studienvater sein? Hätte ich mir nicht lieber Doktor d’Assas erwählen sollen, der so liebenswürdig sein soll?«
    »Ha, d’Assas!« sagte Fogacer. »Wie Ihr wißt, war seine verstorbene Frau Catherine eine Tochter Rondelets (alle diese Ärzte und Apotheker heiraten hier untereinander). D’Assas hätte Euch auf sein Landgut nach Frontignan eingeladen, Euch freundlich bewirtet und von seinem Weingarten erzählt. Und hätte sonst nichts getan. Saporta ist ein Mann aus Eisen, Siorac, aber an diesem Eisen findet Ihr Halt. Im übrigen wird er die Medizinschule besser leiten als Rondelet, der ein großer Arzt war, aber die Mißstände ins Kraut schießen ließ, ohne die Hippe anzusetzen. Beurteilt Saporta nicht nach seinem Gesicht, seinem Geiz, seinen Launen; meßt ihn an den Diensten, die er der Schule und Euch erweisen wird.«
    Soeben vor der Nummer 32 der Rue du Bras-de-Fer angekommen, blieb Fogacer stehen.
    »Ein Spiel gefällig? Hättet Ihr Lust?« fragte er.
    »Heute nicht. Ich bin anderswohin bestellt.«
    »Ah, Ihr geht zur Andacht in die Kirche Saint-Firmin?«
    »Nein,

Weitere Kostenlose Bücher