In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
diesmal irrt Ihr!« erwiderte ich lachend. »Ich besuche Espoumel im Gefängnis.«
»Ist es nicht merkwürdig, daß Ihr diesen Lumpenkerl so ins Herz geschlossen habt?«
»Ihm verdanke ich mein Leben.«
»Und er Euch das seine. So seid Ihr quitt.«
»Oh, nein, keineswegs. Mein Leben ist sehr viel schöner als seins: ich fühle mich noch in seiner Schuld.«
»Ha, Siorac! Trotz Eurer zügellosen Sitten – man kann Euch nur lieben.«
Mit einem feinen Lächeln entschwand er hüpfenden Ganges, mich nachdenklich zurücklassend; offenbar war er bestens im Bilde über meine Sitten, ich aber wußte über die seinen nichts. Ich hielt ihn gleichwohl nicht für einen Tugendbold.
Die Möglichkeit, das Stadtgefängnis zu betreten, verdankte ich Cossolat; er hatte mich dem Profoß empfohlen, der mich in gutes Einvernehmen mit dem Kerkermeister gesetzt, und letzterer blieb mir gewogen, weil ich ihm die Klaue schmierte. So brauchte Espoumel nicht mehr in einem dunklen Verlies zu sitzen, sondern bekam jene Zelle, in der üblicherweise die zum Galgen verurteilten Verbrecher schliefen; das große Fenster (wenn auch mit dicken Eisenstäben versehen) ließ die Sonne herein, als wollte man den armen Kerlen eine letzte Gunst gewähren:die Schönheit des Tageslichts zu genießen, ehe sie seiner auf ewig beraubt würden.
Wenn der Kerkermeister mir die Zellentür aufgetan, erhob sich Espoumel, mich dann um gut einen Kopf überragend, denn er war lang und dürr, dabei aber sehr kräftig, da ganz Muskel und Nerv. Von Angesicht wäre er nicht so häßlich gewesen, wenn man ihm den Bart und das schmuddlige, strubblige Kopfhaar gestutzt hätte. Er grüßte mich und sah mich dankbar an, unterdessen ich die mitgebrachten Leckereien auf den Tisch packte.
»Moussu, was täte ich ohne Eure Güte! Nun hüte ich schon einen Monat das Gefängnis bei Schmerzensbrot und Angstwasser, in tiefer Reue ob meiner gemeinen Sünden! Bis heute morgen hatte ich noch einen freundlichen Gefährten, aber die Wachen haben ihn fortgeholt, um ihn im Olivenhain zu hängen, weil er seinem Herrn zehn Dukaten gestohlen hat. Wie ungerecht, daß man einem ehrbaren Burschen für so wenig das Leben nimmt, dagegen ich, der ich so viele Diebereien und Morde begangen habe, königliche Begnadigung erwarte.«
»Espoumel, des Menschen Rechtsprechung ist so unvollkommen wie seine Natur. Im Himmel dann kommt alles ins Lot durch die Güte des Herrn.«
»Wer ist von dort je zurückgekehrt, um es mit Bestimmtheit sagen zu können?« entgegnete Espoumel und entwaffnete mich mit dieser ketzerischen Frage. »Moussu, wenn Ihr diesen netten Gefährten in seiner Angst erlebt hättet, so nah dem Tode, Ihr hättet dem Henker einen Dukaten gegeben, damit er ihn vor dem Erhängen erwürgt!«
»Aber ist das nicht ein und derselbe Tod?«
»Keineswegs, Moussu. Wenn der Henker Euch den Strick überstreift und Euch dabei mit dem Daumen den Schlundknochen eindrückt, dann seid Ihr auf der Stelle tot. Wenn er Euch dagegen lebend henkt, erstickt Ihr erst allmählich an Euerm eigenen Gewicht; das dauert eine ganze Weile und ist ein gräßliches Sterben.«
»Woher hast du das alles?« fragte ich, sehr überrascht, daß Espoumel hierüber mehr wußte als ein Schüler der Medizin.
»Ich wurde als gemeiner Mensch geboren, und das ist eine Sorte, die man henkt.«
Ich setzte mich ohne Erwiderung auf seinen Schemel, allerdingsin einiger Entfernung von ihm, wie mein Vater es mir zu tun geraten hätte, damit ich nicht seine Flöhe abbekam und weil er auch stank wie ein Iltis im Käfig: hier im Gefängnis bekam er Wasser nur grad zum Trinken.
»Espoumel, was hast du da in deinen Händen?« fragte ich.
»Oh, weiter nichts, eine Nachbildung meines Kerkermeisters. Hab ich aus Holz geschnitzt, vor Langeweile, die Tage sind sehr lang.«
»Laß sehen«, sagte ich.
Er reichte mir die Statuette. Sie war in der Höhe das Vierfache eines Daumens, war sauber gearbeitet und gut proportioniert und hatte sogar Ähnlichkeit mit dem Modell.
»Espoumel, eine schöne, gelungene Arbeit!«
»Ja, so schlecht ist sie nicht«, sagte Espoumel, von meinem Lob geschmeichelt, mit strahlenden Augen. »Sie würde mir noch besser gelingen, wenn ich außer dem kleinen Messer, das man mir gelassen, einen Beitel, einen Hohlmeißel, eine Raspel und auch weicheres Holz hätte.«
»Sollst du haben.«
»Ah, Moussu, da Euch meine
peteta
so gefällt, hätte ich sie Euch gern geschenkt, aber ich habe sie schon dem Kerkermeister
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