In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
trösten. Es würde Euch schlecht bekommen. Aber Ihr habt ja kein Ohr für meine Predigten.«
Wollte er auf mein Techtelmechtel mit Fontanette anspielen? Ich hatte nicht Zeit, darüber nachzudenken, denn nun hörte ich wieder Schritte und Gepolter hinter der Tür, Ketten fielen, Schlösser wurden entriegelt und Stangen fortgenommen, als wäre dies eine Zitadelle.
Doch wenn, wie mein Vater meinte, mutige Männer die einzig wehrhaften Mauern sind, so war dieser Platz sehr schwach bemannt, denn drin fanden wir, außer dem Hausherrn, nur die schmächtige Alte vor, die uns Einlaß gewährte. Keine Fontanette hier, die einem freudig die Tür auftat und mit schwingenden Hüften vor einem herschritt. Nur dieses fleischlose alte Gerippe mit schütterem Lippenbart und der rauhen, kratzigen Stimme.
Diese Parze führte uns in einen kleinen Raum, der bar an Tapeten und Teppichen war und, abgesehen von Tisch und Schemeln, auch gänzlich ohne Mobiliar; von den ältlichen Fliesen des Fußbodens waren etliche schon geborsten. Ein einziges Fenster, noch verdunkelt durch einen Vorhang, spendete spärliches Licht: die Häuser auf der anderen Straßenseite waren so nahe, daß man sich hätte die Hände reichen können.
Nachdem die Alte uns zum Sitzen nicht eingeladen, sondern dies barsch befohlen hatte, zog sie sich zurück, nicht ohne uns bösen Blicks zu durchbohren, als verdächtigte sie uns, daß wir in ihrer Abwesenheit den Tisch forttragen könnten, der nun wahrlich Diebstahl nicht lohnte.
Nach solchem Abgang der Alten dünkten uns selbst die Wände hier so voll Mißtrauen, daß wir stumm und reglos dasaßen, bis der Kanzler kam. Er tat es ohne den Pomp und dieGroßspurigkeit, die der hochrühmliche Meister Sanche an den Tag legte, er kam sozusagen hereingeschlichen, schob sich langsam ins Zimmer, als fürchtete er, durch einen allzu brüsken Ortswechsel die Luft in Wallung zu bringen. Die Breite seines Tisches zwischen uns lassend, blieb er dann mit verschränkten Armen stehen, sagte kein Wort, sondern durchbohrte mich mit seinen Blicken, schnitt gleichsam mein Gesicht mit dem Skalpell in Stücke, um diese unter der Lupe zu studieren. Ich tat dasselbe, da ich ihn noch nie so nahe gesehen, nicht in seinen Kursen und nicht in seinem Ballspielhaus, und ich fand ihn in seiner irdischen Erscheinung recht erschreckend.
Er trug auf dem Kopf sein eckiges Barett, sein Gesicht war mager und knochig, das Haar schwarz wie Rabenflügel, die stechenden Augen lagen tief in ihren Höhlen, die Nase war lang und drohend, und in jedem Mundwinkel hatte er eine bitter verächtliche tiefe Falte, die sich im dichten schwarzen Bart verlor. Seine gallige, tyrannische Miene verwirrte mich um so mehr, da ich ihn doch, wie der gute Rondelet es mir vor seiner Reise angeraten hatte, bitten wollte, für die Dauer meines Studiums Vaterschaft an mir zu üben. Ach Gott! Was würde dieser Saporta für einen Vater abgeben!
Fogacer und ich hatten uns beim Hereingleiten des Kanzlers erhoben und ihm in Latein unseren Gruß entboten, dem er mit keinem Wort Erwiderung tat; nachdem er mein Gesicht eingehend gemustert hatte, setzte er sich, ohne uns einzuladen, ein Gleiches zu tun. Dann herrschte er mich an:
»Sag, wer du bist und was du wünschst. Fasse dich kurz. Ich habe wenig Zeit.«
»Herr Kanzler, ich bin Pierre de Siorac«, sagte ich, wohl wissend, daß ich ihm damit gar nichts sagte, und sehr überrascht, daß er die Unterredung so grimmig führte. »Ich möchte Euch bitten, für die Dauer meines Studiums mein Vater zu sein.«
»Hast du die Einschreibebestätigung?«
»Nein, Herr Kanzler.«
»Also kann ich dein Vater nicht sein«, sagte er in einer Weise, die keine Widerrede duldete.
Hierauf folgte ein mir unerträgliches Schweigen, das Fogacer, meiner Verwirrung ansichtig, beendete.
»Darf ich sprechen, Herr Kanzler?« fragte er in einem unterwürfigen Ton, der mich an ihm recht verwunderte.
»Du darfst.«
»Ich habe Pierre de Siorac in Logik und in Philosophie unterrichtet. In beiden Fächern ist er der Aufnahme würdig.«
»Ich kann es nicht bestätigen ohne ein Schreiben aus deiner Hand.«
»Ich werde es aufsetzen.«
»Auch muß er zuvor auf seine Kenntnisse in Medizin geprüft werden, von einem der vier königlichen Professoren.«
»Doktor Rondelet hat ihn vor seiner Abreise examiniert und ihn für geeignet befunden.«
»Doktor Rondelet ist tot«, sagte Saporta, ohne auch nur einen Muskel im Gesicht zu verziehen. »Ergo kann Doktor
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