In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
Rondelet kein schriftliches Urteil mehr abgeben.«
Unstrittig die Logik dieser Feststellung, uns aber entgeisterte seine Ungerührtheit. Zumal der Mann stumm blieb und willens schien, meine Einschreibung zusammen mit dem armen Rondelet zu begraben.
»Also, was sollen wir tun?« fragte Fogacer schließlich, unverändert bescheiden und fügsam – es war, begriff ich gar bald, der einzig mögliche Umgang mit dem Kanzler.
»Das will ich dir sagen«, beschied Saporta. »Du führst Siorac zu Doktor d’Assas, der ihn examiniert und mir dann
schriftlich
(er betonte dieses Wort) sein Urteil mitteilt. Ist Siorac der Aufnahme würdig, dann erhält er aus meiner Hand ein Schreiben (wieder die nachdrückliche Betonung) mit der Forderung, mir sogleich drei tourische Livres als Einschreibegebühr zukommen zu lassen. Hierauf erhält Siorac von Doktor d’Assas ein
Schreiben
, das ihm Mitgliedschaft in unsere Schule bestätigt. Im Besitz dieser Bescheinigung, wird Siorac dann ein
Schreiben
an mich richten und mich darin bitten, ihm Studienvater zu sein. Und ob meine Antwort ja oder nein lautet, werde ich ihm schreiben.«
Das letzte Wort hatte Doktor Saporta beinahe fauchend vorgebracht. Dann schwieg er und betrachtete nicht mich armen Schlucker, der ich in seinen Augen gar nicht existierte, da ich in seiner Schule noch nicht schriftlich immatrikuliert war, sondern starrte den Bakkalaureus Fogacer an.
»Wenn ich recht verstehe«, sagte Fogacer, »gedenkt Ihr Abhilfe zu schaffen und fortan
schriftlich
zu tätigen, was bei Lebzeiten Meister Rondelets mündlich erfolgte.«
»Haargenau.
Vox audita perit, litera scripta manet.
1 Die gute Verwaltung einer Schule setzt voraus, daß der Kanzler von allem schriftlichen Beleg hat. Doch das ist nur einer der zahlreichen Mißstände, die ich beseitigen will. Sobald in die anarchische Einschreibung Ordnung gebracht ist, will ich mit Feuer und Schwert gegen die strafbar gefälschten Diplome vorgehen. Jedes Jahr werde ich das Siegel meiner Kanzlei ändern, um Nachahmung durch Fälscher zu unterbinden. Und ich werde nicht dulden, daß in Montpellier ein Arzt praktiziert, der nicht vor mir und den königlichen Professoren seine Kenntnisse ausgewiesen hat, selbst wenn der Mann ein Doktor der Pariser Schule wäre, die nichts weiter als hohl, scholastisch und hoffnungslos mittelmäßig ist.«
Diese Ansicht schien mir von der heftigen Verachtung herzurühren, die Montpellier gegenüber der Hauptstadt hegte. Freilich verhehlte ich meine Empfindung, wohl wissend, daß ein Strohhalm den Gießbach nicht aufhält. Und wie hätte ich denn auch urteilen dürfen, wenn ich der Immatrikulation noch nicht würdig und in seinen Augen also inexistent war.
»Ich werde jeden strafen, der es wagt, unsere Kunst ohne Diplom auszuüben«, fuhr Saporta fort. »Wann immer wir einen von diesen Scharlatanen schnappen, lasse ich ihn, rücklings auf einen Esel gebunden, von unseren Schülern durch die Straßen führen und aus der Stadt hinausbefördern!«
»Bene! Benissime!«
stimmte Fogacer ihm eifrig zu.
»Doch vor allem werde ich die Apotheker auf den ihnen gebührenden Platz verweisen: sie haben Kanzler Rondelets Schwäche weidlich ausgenutzt und unter der Hand unzählige Mißbräuche getrieben.«
Doktor Saporta holte tief Luft, richtete seinen schmächtigen Oberkörper auf und fuhr mit wildem Blitzen in seinem schwarzen Auge fort:
»Ich achte Meister Sanche ob seines Könnens und seiner Gelehrtheit. Und ich rechne es mir als Ehre an, bald sein Schwiegersohn zu sein. Doch nimmer dulden werde ich, daß er in seiner Apotheke heimlich Urinbeobachtung treibt. Das ist ketzerische Anmaßung gegenüber den Vorrechten der Mediziner! Fogacer, habt Ihr Kenntnis von solcher Übertretung? Meister Sanche beobachtet den Urin!«
»Aber das tut doch jede Offizin, Herr Kanzler.«
»Fortan nicht mehr!« keifte Saporta mit abwehrender Gebärde. »Der Urin gehört dem Mediziner! Fogacer, vergeßt nie diesen unverletzlichen Grundsatz! Alle Ausscheidungen eines Kranken gehören uns, uns allein: Urin, Exkremente, Blut, Eiter – alle diese Substanzen sind von Natur aus unveräußerliches Gut des Mediziners. Und möge kein Apotheker es wagen, die Hand danach auszustrecken! Gewiß, ich verachte die Pillendreher nicht, auch wenn sie nicht Doktoren sind und eher einen mechanischen Beruf denn wahre Kunst ausüben. Doch da das Apothekenwesen die Dienerin der Medizin ist, darf sich die Dienerin nicht ihres Herren Rechte anmaßen!«
»Herr
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