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In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Henn
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hören. Nur der Wind strich über die
Blätterdächer der Rebstöcke, in denen sich der Mond stählern spiegelte.
    Er ging näher an den Pfeiler. Nach jedem Schritt stehen bleibend,
sich umhörend.
    Nichts.
    Schließlich kam er an dem monolithischen Zeugen planerischer
Unfähigkeit an. Kein Mensch war zu sehen. Aber der Pfeiler war groß, und der
Unbekannte konnte sich hinter der zum Tal liegenden Seite verbergen. Vorsichtig
lugte Julius um die Ecke. Nur der mit weißem Mondlicht bestrichene Beton. Fast
hell erstrahlte er hier.
    Zu hell.
    Eine Stelle schien wie von innen beleuchtet, so deutlich hob sie
sich ab. Julius ging näher heran und fand einen DIN-A 3-großen Bogen Papier, der in Schutzfolie
eingeschweißt mit schweren Schrauben am Pfeiler befestigt war. Er leuchtete mit
der kleinen Taschenlampe darauf. In altdeutschen Buchstaben stand dort
geschrieben:
    »Im Namen der Ehrbaren Ahrtaler Weinbruderschaft von 1682 a.d. verkündigen wir
Folgendes:
    Der Ausbau der
Trockenmauern geht gut vonstatten. Allen Winzern, die sich daran beteiligen,
sei Lob ausgesprochen. Alle anderen sollten sich tunlichst daran beteiligen. Es
gilt die Kultur des Tales zu wahren!
    Die
»Bürgergesellschaft Hemmessen e.V.« wird hiermit aufgefordert, die
Hemmessener Hütte häufiger zu öffnen. Zu viele Reisende sind enttäuscht, wenn
sie vor verschlossenen Türen stehen.
    Die Lachse
kommen wieder vermehrt in unser schönes Tal. Weinbruder August Herold sei dafür
ausdrücklich Lob gezollt. Die Tiere sind eine wahre Zier für unsere blaue Lebensader.
Unterstützt unseren Weinbruder und die Porzermühle, wann immer ihr könnt!
    Siegfried
Schultze-Nögel sei letztmalig gewarnt! Wenn er noch einmal den alten Sitten
entgegen handelt, wird ein Exempel an ihm statuiert. Der ehrliche Wein darf
nicht weiter beschmutzt werden!
    In Vino Salvatio!
    Gezeichnet: Der Ordensmeister«
    Julius las alles noch einmal. Er hatte natürlich schon von
der Weinbruderschaft gehört. Aber sie hatte ihn nie sonderlich interessiert. Er
hatte es nicht mit der Vereinsmeierei, auch als ihm die in den harten
Anfangstagen der »Alten Eiche« zu mehr Kundschaft verholfen hätte. Die
Weinbrüder hatte er immer für einen übertrieben geheimniskrämerischen,
sauflustigen Haufen gehalten. Wie sich nun herausstellte, waren sie viel mehr.
Er knipste die Taschenlampe wieder aus und setzte sich auf den Boden. Das war
es, worauf der anonyme Schreiber ihn hinweisen wollte. Es ging gar nicht um ein
Treffen. Diese Drohung sollte er lesen. Diese Drohung gegen Siggi, die in
denselben Lettern verfasst war wie die Beleidigung auf dem Fass. Aber warum so
spät in der Nacht? Warum wäre morgen nicht früh genug gewesen? Ihm fiel keine
Antwort ein, und er machte sich auf den Weg zurück zum Auto. Wieder hörte er
etwas, aber diesmal blieb er nicht stehen. Vielleicht ein Fuchs, dachte er,
vielleicht ein Wildschwein, das sich an den Trauben delektierte. Nichts, was
ihm Sorgen bereiten sollte. Doch dann erkannte er das animalische Geräusch, das
so viele Kneipengespräche untermalte. Jemand rülpste. Und zwar unverschämt
ausgiebig.
    Julius duckte sich und versuchte, zwischen den Rebzeilen Deckung zu
finden. Am Tage wäre ihm dies sicherlich nicht geglückt, denn so viele Blätter
gab es im Herbst nicht mehr, als dass sein idealtypischer Kochkörper dahinter
unentdeckt geblieben wäre. Aber die Nacht war gnädig. Julius versuchte, flach
zu atmen. Das Wüsthof-Messer hielt er in der Hand. Er konzentrierte sich auf
die Geräusche. Jemand ging unrhythmischen, fast fallenden Schrittes in Richtung
Pfeiler. Julius richtete sich vorsichtig auf, so dass er über die Rebzeilen
hinwegblicken konnte. Der Schemen verschwand schwankend hinter dem Beton.
Julius wartete. Nur Sekunden später erschien der Schemen wieder und kam
geradewegs auf ihn zu. Er grölte etwas. Blitzschnell warf sich Julius auf den
Boden und kroch unter den Trauben hindurch auf die andere Seite des Rebganges.
Konnte das der Verfasser des anonymen Briefes sein? Nein, dachte Julius. Der
hätte nach ihm gesucht, gerufen, zumindest ein wenig gewartet. Sein Herz schlug
ihm im Hals, vor Angst krampfte er den ganzen Körper zusammen. Kein Mucks.
Nicht bewegen. So nah es ging, drückte sich Julius ans Blattwerk und schaffte
es, die Triebe so zur Seite zu schieben, dass er mit einem Auge sehen konnte,
wer auf ihn zukam. Die Dunkelheit stellte kein großes Manko mehr dar. Er
brauchte kein Tageslicht, um auszumachen, wer ihm da entgegenrollte,

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