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In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Henn
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nickte sie ihm verbittert zu und begann, sich mit irgendetwas im Computer
zu beschäftigen. Konzentriert starrte sie den Monitor an. Sie hätte dies
bestimmt gelassen, wenn sie gewusst hätte, dass Julius den Bildschirmschoner
sehen konnte. Kurze Zeit später erschien ein dynamischer Mittdreißiger in
hellgrauem Anzug samt Weste und orangefarbener Krawatte im Raum. Schnellen
Schrittes kam er auf Julius zu und streckte ihm einem Geschoss gleich die Hand
entgegen.
    »Der Herr Eichendorff! Welch seltener Gast in unserem Hause! Was
führt Sie zu uns?«
    Bevor Julius antworten konnte, erledigte dies die Verkäuferin.
    »Der Herr möchte ein Plakat aufhängen und wollte nicht akzeptieren,
dass das bei uns unüblich ist.«
    »Na, so was!«, brachte der Geschäftsführer spöttisch hervor. »Und
ich hatte schon gedacht, Sie hätten endlich eingesehen, dass wir dringendst auf
die Weinkarte Ihres Etablissements gehören. Wie schade …«
    Die Verkäuferin verschränkte selbstgefällig die Arme. Der Ton ihres
Chefs gefiel ihr sehr gut.
    »Das steht noch auf der Kippe«, erwiderte Julius. Diese Gangart
beherrschte er auch.
    »Um was für ein Plakat handelt es sich denn? Sie haben doch gar
keine Werbung nötig, oder?«
    Julius verstand nun, wie der für Genossenschaftsverhältnisse junge
Bursche an die Spitze des Ahr-Imperiums gekommen war. Beliebt hatte er sich
dabei bestimmt nicht gemacht.
    »Es ist eine persönliche Sache.«
    »Zeigen Sie mal her, Ihre persönliche Sache.« Er griff sich das
Plakat aus Julius’ Hand.
    »Was hat der Mann Ihnen getan? Sieht doch ganz harmlos aus!«
    » Mir hat er gar nichts getan. Aber er
könnte im Zusammenhang mit den Morden an Siggi Schultze-Nögel und Markus Brück
stehen.«
    Der Geschäftsführer reichte Julius das Plakat brüsk zurück. »Höflich
formuliert, Herr Eichendorff: Was geht Sie das an?«
    »Gisela Schultze-Nögel ist meine Großkusine. Und sie wird, wie Sie
zweifellos wissen, zu Unrecht verdächtigt.«
    »Ich weiß, dass sie verdächtigt wird, ja. Aber das alles ist Sache
der Polizei. Ich gebe Ihnen einen guten Rat: Halten Sie sich da raus. So was
gibt nur Ärger. Das erledigt sich bestimmt von alleine. Sie haben momentan doch
auch genug zu tun in Ihrem Restaurant. Zurzeit muss doch alles perfekt sein,
nicht wahr? Wie man hört, ist der oberste Kritikaster vom Michelin seit gestern
im Tal, um die Bewertungen für den neuen Führer festzuklopfen. Andererseits
haben Sie natürlich Recht, sich nicht umsonst anzustrengen,
wo ein Stern doch so schwer zu erlangen ist. Warum sich das Leben unnötig
kompliziert machen?« Der Geschäftsführer war nun richtig in Fahrt. »Natürlich
kann der richtige Wein auf der Karte Gäste – und auch Kritiker –
äußerst positiv beeinflussen. Über so was wird geredet. In den richtigen
Kreisen …« Er blinzelte verschwörerisch.
    Julius wollte nur noch raus. Aber umsonst wollte er das Ganze nicht
über sich ergangen haben lassen.
    »Hätten Sie vielleicht doch ein Plätzchen für mein Plakat? Und
könnten Sie mir eine Flasche von Ihrem berühmten Frühburgunder mitgeben? Dann
würde ich den mal zusammen mit meinem Sommelier verkosten.«
    Natürlich würde er die Flasche nach diesem Theater eher an der
tiefsten Stelle der Ahr versenken, als sie zu trinken. Aber wer wollte das
schon überprüfen? Sein Gegenüber, befand Julius, verdiente nichts anderes als
eine dreiste Lüge. Diese veranlasste den Geschäftsführer jetzt zu einem breiten
Lächeln.
    »Wir finden bestimmt ein Plätzchen für Ihr
Plakat! Wäre doch gelacht! Für die Freunde unseres Hauses ist alles
möglich. – Fräulein Dölb, holen Sie bitte einen Sechser-Karton mit unserem
Flaggschiff für Herrn Eichendorff. Als Geschenk selbstverständlich!«
    Julius zeigte sich erfreut, obwohl ihm eher zum Erbrechen zumute
war. Geduldig wartete er, bis der Geschäftsführer das Plakat demonstrativ am
Fenster neben der Eingangstür befestigt hatte und die Verkäuferin ihm die Weine
vor die Füße stellte. Dann verabschiedete er sich mit überfestem Handschlag,
nahm die Kriegsbeute unter den Arm und trat ins Freie. Als die Last des
unangenehmen Gesprächs von ihm fiel, fielen Julius leider auch die Plakate hin.
Schnell brachte er den Karton im Kofferraum des Audis unter, bevor er zum
Unglücksort zurückkehrte. Einige Plakate sogen sich bereits mit Wasser voll,
das sich während des Regenfalls der Nacht auf dem Parkplatz gesammelt hatte.
Ein alter Mann stand über die Kopien gebeugt. Julius

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