In Vino Veritas
Augen eingeschlossen wie eine
Goldader. Julius dachte darüber nach, was wäre, wenn sich diese Liebe in Hass
verwandelt hätte.
»Man könnte Ihnen übrigens genauso gut unterstellen, Siggi ermordet
zu haben.«
»Mir?!«
»Als Sie merkten, dass er sich nicht wirklich von Gisela trennen
wollte und Sie über all die Jahre nur ausgenutzt hat.«
»Blödsinn!«
Das klang echt.
»Oder noch eine andere neben Ihnen hatte.«
»So was hätte er niemals getan! Er war treu.«
Merkwürdige Vorstellung von Treue bei einem Ehebrecher.
»Wo haben Sie sich eigentlich mit ihm getroffen, dass das keiner
mitbekam?«
»Das geht Sie wirklich nichts an.«
Da hatte sie Recht. Julius sah die Pastoralreferentin an, wie sie in
Abwehrhaltung, die Arme über die Brust gekreuzt, die Augen auf den Boden
gerichtet, vor ihm stand. Sie war nur ein Spielzeug gewesen. Eine unter
wahrscheinlich mehreren Geliebten, die der Rotweinmagier ganz nach Belieben mit
ins Bett genommen hatte. Nach seinem Tod stand sie mit gestorbenen Träumen da.
Mit Enttäuschung und Wut, die irgendwohin musste und Gisela getroffen hatte.
Und doch gab es keinen anderen Weg für Julius.
»Ich werde das der Polizei melden müssen.«
» Bitte nicht ! Es darf niemand von Siggi
und mir erfahren!«
Er schüttelte den Kopf. Sie weinte und hielt sich die Hände vors
Gesicht.
Aber es musste sein. Wenn die Polizei denselben Eindruck von ihr
gewann wie Julius, war die Aussage nichts mehr wert. Dann war es nur noch das
Hirngespinst einer enttäuschten Geliebten. Und Gisela wäre nicht mehr
verdächtig, ihren Mann den Hang hinuntergestoßen zu haben.
»Bitten Sie besser die Polizei, dass sie die Sache unter der Decke
hält. Ich lege ein gutes Wort für Sie ein. Aber ich würde mich an Ihrer Stelle
fragen, ob ich mit so einer Doppelmoral noch in die Kirche gehöre. Ich will
hier nicht den großen Unschuldigen rauskehren, ich hab mir auch schon Sachen
rausgenommen, die Il Papa in Rom nicht gutheißen würde. Aber ich arbeite ja
auch nicht für den Laden.«
Es fiel ihm schwer, die Pastoralreferentin in dieser
Stimmung zurückzulassen. Aber was sollte er tun? Julius bog um die Ecke auf den
Vorplatz der Kirche, wollte zum Wagen gehen, als ein dunkel gekleideter Mann
auf ihn zukam. Er trug einen teuren Anzug, der Schnitt topmodern, Hemd und
Krawatte genau dem aktuellen Trend entsprechend. Der Mann war nicht von großer
Statur, eher klein und schmal, aber die Art, wie er sich bewegte, mit großer
Körperspannung, verriet, dass es sich um einen menschlichen Pitbullterrier
handelte. Jeder Kubikzentimeter Körper war gestählt, Fäuste und Füße warteten
wie gespannte Federn darauf, ihre geballte Kraft in ein Ziel zu führen.
Zackig blieb er vor Julius stehen.
»Kommen Sie bitte mit!«
Eine Hand fasste Julius am Oberarm. Ein Daumen stach in den Bizeps
hinein. Der Schmerz breitete sich aus wie heißes Öl. Der Pitbull zog ihn auf
den Parkplatz zu einem schweren Mercedes, schwarz lackiert. Julius konnte das
Wageninnere nicht erkennen. Aber etwas bewegte sich darin.
»Ich lasse mich doch von Ihnen nicht dazu zwingen!«
Julius versuchte, sich aus dem Griff zu befreien. Der Pitbull nahm
die linke Hand vom Oberarm und setzte sie am Nacken an. Julius ging in die
Knie, krümmte sich wie ein Fisch an Land.
»Ich hab dir doch gesagt, du sollst ihn her bitten !«
Julius konnte nicht sehen, von wem die Stimme stammte, denn seine
Augen waren mit Tränen gefüllt.
»Er wollte nicht.«
»Lass ihn los!«
Die Hand des Pitbulls löste sich von Julius’ Nacken, und das Blut
zirkulierte wieder. Die Verkrampfung fiel von ihm ab wie nasse Kleidung.
Zwei andere Hände, vorsichtigere, berührten ihn unter den Achseln
und zogen ihn hoch. Den Blick immer noch verschwommen, konnte Julius zumindest
erkennen, dass er zum Wagen verfrachtet und hineingesetzt wurde.
Der Innenraum roch nach Leder und teuren Zigarren. Ein Humidor war
in den Spalt zwischen den Vordersitzen eingelassen.
Der Wagen fuhr an, und Julius drehte den Kopf, um den Mann rechts
neben ihm zu sehen.
»In Vino Salvatio, Julius! So war das nicht gedacht. Er hat einfach
keine Geduld, weißt du.«
Es war Dr. Bäcker, und er plauderte, als hätten sie sich zufällig
auf dem Wochenmarkt getroffen.
»Was soll das?«, brachte Julius hervor.
»Wir machen einen Ausflug. Betrachte es als inoffizielle
Veranstaltung der Weinbruderschaft. Exklusiv für dich, und ohne
Selbstkostenbeteiligung.«
»Wie komme ich zu der Ehre?«
Bäcker
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