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In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Henn
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würde ihn belächeln.
    Er musste den Mörder eigenhändig stellen.
    Keiner würde ihm dabei helfen. Denn er durfte niemanden außer sich
in Gefahr bringen.
    Julius wusste, dass es hieß, schnell zu handeln. Aber er wusste
auch, während er sich ein weiteres Glas eingoss und den Blick im Blau des
Bildes ruhen ließ, dass er kein Polizist war, kein Privatdetektiv, ja noch
nicht einmal jemand in der nötigen Verfassung für die Bundesjugendspiele. Der
Mörder wäre ihm körperlich überlegen. Vor allem, da er mittlerweile Übung darin
hatte, anderen Gewalt anzutun.
    Julius stand auf und ließ seine Finger über die Holzkisten mit den
Bordeaux gleiten. Die dollarschweren Namen der Chateaus waren darauf
eingebrannt: Petrus, Latour, Lafite, Le Pin, Valandraud, Angelus, Ausone,
Cheval Blanc, Haut Brion. Er ging hinüber zu den Burgundern, den weißen wie den
roten, den Bouteillen aus Übersee, weiter zu den Spaniern und Italienern, bis
er bei den deutschen Weinen landete und schließlich bei jenen von der Ahr. Die
Spätburgunder, Frühburgunder oder Portugieser warteten hier seelenruhig auf den
Tag ihrer Reife. Unter Staub fand sich auch eine Kiste zehn Jahre alter Syrah.
Im Versuchsanbau in Dernau gepflanzt, war die Sorte nie offiziell zugelassen
worden. Die Rebstöcke wurden schließlich wieder herausgerissen. Sie hatten im
Tal einfach nicht das richtige Klima gefunden. Ab und an fragten neugierige
Gäste nach dem Exoten – zufrieden waren sie mit dem Tropfen in ihrem Glas
dann jedoch nie. Der Winzer hatte sich mit der Traube auf fremdes Territorium
begeben, um die internationale Konkurrenz zu schlagen. Es war misslungen. Denn
er hatte sich von dem abgewandt, was er wirklich gut konnte.
    Julius strich liebevoll den Staub von der Kiste.
    Das war es!
    Wenn er dem Mörder eine Falle stellen konnte, dann nur auf seinem
ureigenen Terrain. Der Küche. Das war der Ort, an dem er sich auskannte, das
war der Platz, an dem ihm niemand – oder zumindest nur sehr wenige, und
die standen Hunderte von Kilometern entfernt hinter ihrem Herd – etwas
vormachen konnte.
    Die Küche war sein Spielfeld, und er
diktierte dort die Regeln. Die wichtigste Regel, die er für den Mörder erlassen
würde, hieß: Friss und stirb.
    Natürlich nur im übertragenen Sinne.
    Er begann, zwei Listen zu machen. Eine mit Namen, eine mit
Lebensmitteln. Die erste hatte er schnell fertig, die zweite forderte sein
ganzes Können. Er strich Gemüse durch, fügte Meeresfrüchte hinzu, addierte
Gewürze und subtrahierte Beilagen. Die Sache begann, ihm Spaß zu machen. Es
würde ein kulinarisches Fest werden! Ein Menü, wie es keiner der Anwesenden
jemals gesehen hatte.
    Mit einem Mal ging die Tür auf. Herein traten Franz-Xaver und
François, gefolgt von der kompletten Küchen- und Restaurantbrigade. Der Raum
wurde proppenvoll. Julius war umzingelt.
    Franz-Xaver stand so nah bei Julius, dass ihre Beine aneinander
stießen. Der Maître d’hôtel zog eine Holzkiste aus einem der Regale und stellte
sich darauf.
    »Die Belegschaft will bittschön wissen, warum des Restaurant
geschlossen wird!«
    Julius blickte in eine Runde fordernder Blicke. Seine Mitarbeiter
sahen aus wie Kinder, die lange keine Schokolade mehr bekommen hatten und nun
so lange die Luft anhalten würden, bis sich diese unannehmbare Situation
änderte.
    »Hast du es Ihnen nicht erklärt?«
    »Was weiß ich denn schon?«, gab
Franz-Xaver beleidigt zurück.
    »Na gut«, begann Julius, »wenn ihr es unbedingt wissen wollt: Ich
bin auf Mörderjagd. Und morgen Abend werde ich das Wild erlegen!«
    Der Raum war so mit gespannter Stille gefüllt, dass diese sogar das
Rauschen der Klimatür übertönte. Die Kinder hatten ihre Schokolade bekommen.
Aber nun, da sie sahen, dass Mutti eine Wagenladung Pralinen hatte, wollten sie
diese auch noch.
    »Ich kann euch nicht mehr sagen. Tut mir Leid. Das wär einfach zu
gefährlich. Geht für heute nach Hause, genießt den freien Abend. Euch wird
nichts vom Lohn abgezogen.«
    Freudiges Klatschen war zu hören.
    »Können wir denn gar nix machen?«, fragte Franz-Xaver. Und aus den
hinteren Reihen war zu hören: »Ja, wir wollen bei dem Spaß dabei sein!«
    Julius war sich nicht sicher, ob es ein solcher werden würde.
    »Eine Sache gibt es, bei der ihr helfen könntet. Jeder schnappt sich
ein Telefon. Und dann ruft ihr die Leute an, die auf dieser Liste stehen.«
Julius hob das entsprechende Blatt hoch. »Sie sollen morgen Abend zu einem
Gala-Diner ins Restaurant

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