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In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Henn
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müssen leise sein. Unser Geschäftsführer würde das gar nicht
gerne sehen.«
    »Ist der wirklich so jähzornig, wie man sagt?«
    Uli verdrehte die Augen. »Gegen ihn ist Rumpelstilzchen ein
ausgeglichenes Gemüt.«
    Sie fuhr mit der Maus über das Pad, und nach einigem Klicken hatte
sie das Gesuchte gefunden.
    »Voilà, hier ist die Liste! Als alphabetisch geordnete Excel-Tabelle.
Beeilen Sie sich, bitte !«
    Er ging zum Computer und scrollte die Liste durch.
    Der gesuchte Name war darunter.
    Julius hatte es sich gedacht, aber er wollte die Bestätigung, wollte
es schwarz auf weiß, oder Lichtpunkt auf Mattscheibe.
    Der dritte Nagel.
    Die Tür ging auf.
    Der Choleriker.
    »Was ist denn hier los? Was hat das zu
bedeuten, Frau Magd? Was macht Herr Eichendorff hier? Zeigen Sie der Konkurrenz
etwa unsere Zahlen? Das ist geschäftsschädigend, das ist grob geschäftsschädigend!« Sein Gesicht hatte die Farbe einer professionell
produzierten Hollandtomate angenommen. Julius vermutete, dass sich im Inneren
ebenfalls nur Wasser befand. Uli suchte nach Worten, Julius fand die richtigen.
Er ging mit ausgestreckter Hand auf den Geschäftscholeriker zu.
    »Also, ich muss Ihnen wirklich zu diesem Computersystem gratulieren!
Frau Magd hat mir so davon vorgeschwärmt, dass ich einfach mal schauen kommen
musste. Eins a! So was brauchen wir in der ›Alten Eiche‹ auch!«
    Nach einem kurzen Knuff in die Seite seines Gegenübers fügte er
hinzu: »Leider hat Frau Magd mich ständig unter Kontrolle gehabt, damit ich mir
nicht die wirklich interessanten Daten anschaue …«
    Der Choleriker schien noch nicht ganz überzeugt. Julius setzte nach.
    »Seien Sie der Frau Magd nicht böse! Ich hab ihr gesagt, sie soll
Sie wegen meiner Neugierde nicht belästigen. Ich weiß ja, dass Sie hier im Haus
viel zu tun haben. Aber falls das wirklich ein Problem darstellt: Ich nehme sie
mit Kusshand zurück, so gute Mitarbeiterinnen sind selten. Da beneid ich Sie
wirklich drum!«
    Das Gesicht des Geschäftsführers erhellte sich. »Tja, bei uns
arbeiten nur die Besten. Aber Sie können mich in Zukunft ruhig stören, wenn Sie
Fragen haben, wie Probleme in einem gut geführten Haus gelöst werden.«
    Dies war der beste Ort zum Nachdenken. Dies war der Platz,
um eine Lösung zu finden. Eine Lösung, wie der Mörder fachmännisch festzunageln
war.
    Die Klimatür war geschlossen, im Inneren des Weinkellers der »Alten
Eiche« herrschten kühle 12 Grad. Um Julius
herum lagen die flüssigen Schätze in Holzregalen, die bis zur Decke reichten.
Ein wenig des teuren Weines verdunstete jedes Jahr. Zu riechen war dies nicht,
aber es war ein gutes Gefühl zu wissen, was für Luft man atmete. Vor Julius
stand ein Glas Wein. Ein Teil befand sich noch in der Flasche, einer im Glas,
doch der größte in Julius’ Magen. Und dieser Teil hatte bereits Auswirkungen
auf die Denkprozesse.
    Sie wurden klarer.
    Das kleine Tischchen mit dem Hocker davor gehörte nicht zur
notwendigen Einrichtung eines Weinkellers. Aber für Julius waren es die
wichtigsten Gegenstände im Raum. Hier konnte er sich setzen, ein Glas
abstellen, die Flaschen anschauen, die seit Jahren, Jahrzehnten – zwei
sogar seit mehr als einem Jahrhundert – darauf warteten, getrunken zu werden.
In diesem Raum herrschte eine andere Zeit, sie stand nahezu still, wurde so
weit abgekühlt, bis sie sich fast nicht mehr bewegte.
    An der Wand hing ein Foto von Julius’ Traumkeller. Leider würde er
einen solchen niemals haben, es sei denn, die Klimakatastrophe kam schneller
und vollkommen anders, als die Zukunftsforscher erwarteten. Julius musste
wieder an die Geschichte hinter dem Bild denken: Die Winzer aus dem Val
d’Anniviers im Schweizer Kanton Wallis hatten eines Tages in ihren Kellern
keinen Platz mehr für die Weinfässer. In einem Anflug von Innovation und
Wahnsinn beschlossen sie, die Überzähligen in einer Eisgrotte unter dem
Rhône-Gletscher einzulagern. Blau schimmerten die vereisten Wände über den
hellen Fässern. Julius machte eine weitere Flasche des Weines auf, der dort
gereift war. Auch wenn er damit den heimischen Gewächsen untreu wurde. Der
»Gemma« war ein köstlicher Dessertwein, und Julius bildete sich ein, den
Gletscherschmelz darin zu schmecken.
    Er nahm einen großen Schluck.
    Seine Gedanken waren mit einem Mal kristallklar.
    Julius wurde sich bewusst, dass er nur eine Idee und ein
kümmerliches Indiz hatte. Das war alles, und es würde niemals reichen. Von
Reuschenberg

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