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In Wahrheit wird viel mehr gelogen - Erben bringen Glück

Titel: In Wahrheit wird viel mehr gelogen - Erben bringen Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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zueinander sagten.
    Die letzte SMS, die Karl von mir bekam, lautete: »Denn wenn et Trömmelche jeht, dann stonn mer all parat. Superjeile Zick? Bitte sag ja.«
    Und Karl simste zurück: »Von mir aus: Ja, du bist eine supergeile Ziege.«
    Da war es halb eins. Um halb zwei wollte sich Karl mit einem Galeristen bei einem Vietnamesen in der Saint John Street zum Mittagessen treffen. Aber er kam nie dort an, weil er im Taxi an der Ecke Farringdon Road / Charterhouse Street einen Herzinfarkt erlitt. Der Taxifahrer reagierte vorbildlich und raste so schnell er konnte in die Notaufnahme des nahegelegenen Saint Bartholomew’s Hospitals, wo man nach mehrmaligen wiederbelebenden Maßnahmen Karls Tod feststellte.
    Wenn man die SMS mitzählte, hatten wir an diesem Tag vierhundertundelf Worte miteinander ausgetauscht, davon einmal Motherfucker und zweimal Butterblume . Und viermal Trömmelche . Kein einziges Mal Tee und kein einziges Mal ichliebe dich . Ich war irgendwie froh, dass wir nicht Teil dieser Studie im »Observer« gewesen waren.
    Ich hätte gern etwas anderes gedacht, während ich den toten Karl anschaute und seine kalte Hand streichelte. Irgendwas Weises, Tiefgründiges, Hochphilosophisches. Vielleicht auch etwas Feierliches.
    Stattdessen analysierte ich unsere vierhundertelf letzten Worte. Ich dachte auch, dass ich froh war, kein Taxifahrer zu sein. Dass ich auf dem Weg hierher vierundvierzig Taxis gezählt hatte. Dass die Krankenschwester viel zu viel Rouge aufgetragen hatte. Dass Tote gar nicht aussehen, als ob sie friedlich schliefen, sondern … tot.
    Und dass ich gern mit Karl darüber reden würde, wie seltsam das doch alles war. Das tat ich wohl auch, obwohl ich begriff, dass Karl mir nicht antworten würde. Dass ich seine Stimme niemals wieder hören würde. Nicht mal auf unserem Anrufbeantworter, denn den hatte ich besprochen.
    Viele Stunden lang tat ich nichts außer dazusitzen, Karls Hand zu halten und mich zu fühlen wie unter einer Glasglocke. Bis Mimi kam, mich in die Arme nahm, weinte und sagte: »Das ist der Grund, warum man keinen älteren Mann heiraten soll.«
    Später behauptete sie, das habe sie niemals gesagt.
    Als wir gingen, sah Karl plötzlich gar nicht mehr tot aus. Er sah aus, als ob er schliefe.
    »Man trifft sich immer zweimal im Leben!«
    Blöde Redensart, die aber leider zutrifft.
Und man hat noch Glück,
wenn es bei den zwei Malen bleibt.

    Ich wusch mir in der Gästetoilette von Frau Karthaus-Kürten das Gesicht, bevor ich ging. Man muss sagen, ab dem Moment, in dem meine Tränen zu fließen begonnen hatten, war Frau Karthaus-Kürten gar nicht so übel gewesen. Ihre Unsicherheit und die Überheblichkeit schwanden mit jedem Taschentuch, das ich vollschniefte, und sie fand eine ganze Reihe tröstender, kluger Worte für mich. Seltsamerweise tröstete es mich wirklich, als sie sagte, dass niemand mir helfen könne, meinen Schmerz zu ertragen, auch sie nicht. »Ich kann Ihnen nur helfen zu überleben«, sagte sie, und das klang so herrlich pathetisch und absolut angemessen, dass ich ganz zufrieden nickte. Überleben – mehr wollte ich gar nicht.
    Am Ende hatten wir uns darauf geeinigt, dass ich in zwei Tagen wiederkommen sollte. Außerdem legte mir Frau Karthaus-Kürten dringend ans Herz, wenigstens vorübergehend die Einnahme von Psychopharmaka zu erwägen. Ich zeigte ihr das Rezept, das Ronnies Arzt mir aufgeschrieben hatte, undsie schüttelte den Kopf und sagte: »Dann können Sie auch genauso gut Wein trinken. Ich werde Ihnen etwas Neues aufschreiben.« Als sie mir das Rezept reichte, offenbarte sie noch einmal überraschend tiefe Einblicke in meine Gefühlswelt: »Nehmen Sie das ruhig. Sie müssen keine Angst haben, Sie könnten dadurch weniger traurig sein. Sie werden nur nicht mehr das Bedürfnis haben, sich von der Brücke zu stürzen.«
    Mimi rief mich auf dem Handy an, als ich wieder draußen auf der Straße stand.
    »War’s schlimm?«
    »Sie hat mich zum Heulen gebracht. Ich glaube, sie hat es darauf angelegt.«
    »Ich hoffe, du hast sie nicht als Idiot beschimpft.«
    »Nur in Gedanken. Weißt du, wie diese Frau ihren Sohn genannt hat? Keanu!«
    »Offenbar hat sie beim Zeugen des Kindes an jemand anderen gedacht als an ihren Mann«, sagte Mimi. »Das ist doch legitim.«
    »Aber wenn das jeder so machen würde, dann wären die Kindergärten voller Brads, Colins, Johnnys und Orlandos.«
    »Und Judes«, sagte Mimi. »Wo bist du gerade? Findest du allein zurück? Kommst du zu

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