In Wahrheit wird viel mehr gelogen - Erben bringen Glück
Quadratmeter kosten, aber bei der Abnahme von über fünfzig Quadratmetern bekommen wir wegen meiner guten Beziehungen fünfzehn Prozent Preiserlass. Plus noch mal zwei Prozent Skonto bei Sofortzahlung. Wir brauchen sechsundfünfzig Quadratmeter. Wie viel würde uns das kosten, Carolinchen?«
Ich sah ihn nur mit großen Augen an und kniff die Lippen zusammen.
»Äh, ich hole schnell den Taschenrechner«, sagte Ronnie und wurde rot. Mimi grinste nur, und Leo bemerkte nicht, dass ich kurz davor gewesen war, »dreitausendvierhundertdreiundneunzig komma neun drei fünf« zu rufen.
»Er ist ein netter Junge«, sagte Mimi später über ihn. Es klang zwar nicht besonders begeistert, aber »netter Junge« war auf jeden Fall schon eine immense Steigerung gegenüber »brunzdoofe Gurke«, welches die Worte waren, die sie für Oliver Henselmeier gefunden hatte. Und dazwischen hatte es ja niemanden gegeben, für den sie eine Bezeichnung hätte finden müssen.
»Ja, sehr nett«, stimmte Ronnie zu. »Er redet nur einen Ticken zu oft über seine Mutter und seine Schwestern, finde ich.«
»Das musst du gerade sagen«, höhnte Mimi, die ihre Schwiegermutter und ihre Schwägerinnen hasste, was leider auf Gegenseitigkeit beruhte und immer schlimmer wurde, je länger Ronnie und Mimi kinderlos blieben.
»Man kann das auch als Charakterstärke auslegen«, sagte Ronnie schnell. »Es zeigt, dass er Verantwortung übernehmen kann.«
Das war auch die Auslegungsvariante, die ich bevorzugte.
Leo wiederum war von Mimi und Ronnie sehr angetan. Sogar die Katze fand er toll. »Weißt du, du hast so lange gewartet, mich deiner Familie vorzustellen, dass ich schon Angst hatte, sie könnten vielleicht ein wenig … hm, nun ja, du weißt schon.«
»Was?«
»Ähm, eben weniger präsentabel sein.«
»Weniger präsentabel als was?« Als seine Familie? Als ich?
»Ist doch jetzt egal. Sie sind großartig, sehr sympathisch, gebildet, interessant«, sagte Leo. »Das Haus gefiel mir auch unheimlich gut. Wann lerne ich deine Eltern kennen?«
»Bei der nächsten Gelegenheit«, sagte ich und kreuzte zwei Finger hinter meinem Rücken.
Für den siebzigsten Geburtstag von Leos Großmutter lieh Mimi mir eines ihrer schwarzen Etuikleider, in denen sie immer aussah wie Audrey Hepburn. Ich sah darin aus wie Audrey Hepburns kleine Schwester, immerhin. Dazu trug ich hochhackige Pumps und eine doppelreihige Perlenkette, die ich mir vom Hals nestelte und in die kleine geliehene Handtasche stopfte, sobald ich außer Sichtweite war. Was zu viel war, war zu viel.
An der Frisur ließ sich auf die Schnelle nichts mehr ändern, denn in meinem Hinterkopf steckten pfundweise schwarze Haarnadeln, und das Ganze war außerdem mit einer halben Dose Haarspray fixiert. Ganz sicher nichts für den Tennisplatz.
Leo war entzückt, als er mich sah. »Du siehst zehn Jahre älter aus«, sagte er. »Wie eine Dame.«
Ich war entsetzt. Auf dem Weg nach Köln-Rodenkirchen kaute ich mir noch schnell den Lippenstift ab und verwischte den dramatischen Lidstrich zu einem unauffälligen Schatten. Trotzdem fühlte ich mich noch immer wie verkleidet, als wir vor der Villa von Leos Großeltern ausstiegen. Es war ein wundervolles Jugendstilhaus mit Erkern, Türmchen, polierten Marmor- und Intarsienparkettböden und Stuckdecken, zwei Querstraßen vom Rheinufer entfernt. Ich hielt mich automatisch kerzengerade, als ich über die Schwelle schritt. Obwohl sie die Mutter seines Vaters war, sah Leos Großmutter wie eine ältere Version von Leos Mutter aus, blond, groß, gepflegt und mit diesem leicht gefrusteten Zug um den Mund. Sofort hatte ich Angst, sie würde einen Fleck auf meinem Kleid entdecken und mich zum Frischmachen ins Badezimmer schicken.
Aber sie war ganz reizend zu mir. Zwar stellte sie mich allen Leuten – Kölner Politprominenz? – als »Leos kleine Freundin« vor, aber das machte mir nichts aus. Leos Großvater war um einige Jahre älter als sie und sah aus wie Wachtmeister Dimpfelmoser aus »Räuber Hotzenplotz«, nur ohne den Helm und die Uniform. Ganz sicher hatte er seinerzeit einen prächtigen stellvertretenden Bürgermeister abgegeben, und ich fand es irgendwie süß, dass er mir einen Handkuss gab.
Leos Schwestern waren im Partnerlook erschienen, in Dunkelblau mit weißen Tupfen, und verströmten Oer-Erkenschwicker Charme.
»Schönes Kleid«, sagte Corinne. »H & M?«
»Eher D & G«, murmelte ich, aber ich war mir nicht ganz sicher. Mit Designerlabels kannte ich
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