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In Wahrheit wird viel mehr gelogen - Erben bringen Glück

Titel: In Wahrheit wird viel mehr gelogen - Erben bringen Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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seiner Großtante Jutta. Die war schätzungsweise hundert und schien nicht so recht zu wissen, wer Leo überhaupt war.
    »Wie spät ist es denn, Junge?«, fragte sie. »Ich muss langsam mal daran denken, wie ich wieder nach Hause komme. Mein kleiner Tommi ist gar nicht gern allein.«
    »Es ist noch früh, Tante Jutta. Die Feier hat gerade erst begonnen. Das ist übrigens meine Freundin Carolin.«
    »Mit dem Taxi fahre ich auf gar keinen Fall«, sagte Tante Jutta. »Die haben einer wehrlosen Frau wie mir ganz schnell eins übergebraten und die Handtasche abgenommen. Wie spät ist es denn, Junge? Der arme Hund ist gar nicht gern allein.«
    »Wir kommen nachher noch einmal.« Leo zog mich wieder zu seinen Schwestern. »Arme Tante Jutta. Sie wird allmählich senil. Und immer auch ein bisschen unverschämt. Aber alle sind nett zu ihr, denn sie hat keine Kinder und eine Menge zu vererben.«
    Helen gab mir ihre Kamera. »Kannst du ein paar Bilder von mir, Corinne und Leo machen? Am besten da hinten, vor dem Flügel. Für meine Mama.«
    Na klar konnte ich das. Der bildhübsche, musikalische Nachwuchs vor dem glänzend schwarzen Flügel – die Mama würde begeistert sein.
    Der Flügel war gestimmt, und offenbar war es nicht verboten, darauf zu spielen. Leider, konnte ich nur sagen. Zuerst spielte Helen »Für Elise« und dann Corinne. Die Großeltern und die Gäste störten sich nicht weiter an dem Geklimper, nur mir ging es zunehmend auf die Nerven.
    »Wie wäre es mal mit … Bach?«, schlug ich vor.
    »Wir hassen Bach, Bach ist furchtbar«, sagte Helen, und Leo spielte zur Abwechslung den »Fröhlichen Landmann«.
    Nach ihm spielte Corinne auch den »Fröhlichen Landmann«. Und dann Helen.
    Hinter meinem rechten Auge begann es zu pochen. »Oder Chopin«, sagte ich.
    Helen sagte, Chopin sei ihr zu schwülstig. Sie suchte in dem Notenstapel neben dem Flügel nach etwas anderem. »Hier! Das ist schön. Das spiele ich gerade. Mozart. Sonate es-Moll. Sehr, sehr schwer, sagt meine Klavierlehrerin.«
    »Es-Dur«, verbesserte ich automatisch, aber da hatte Helen schon angefangen, die Sonate zu vergewaltigen, und Leo machte Fotos davon.
    Das Pochen hinter meinem Auge wurde stärker. Als ich es nicht mehr aushalten konnte, machte ich mich auf dieSuche nach einer Toilette. Die ersten beiden, die ich fand, waren besetzt, und jemand schickte mich eine Etage weiter nach oben. Das Badezimmer hier war bezaubernd, es hatte nur den Nachteil, dass man die Tür nicht abschließen konnte. Ich musste einen Stuhl unter der Klinke verkeilen, sonst hätte ich es nicht gewagt, das Kleid hochzukrempeln und den Slip herunterzuziehen, aus lauter Angst, jemand könne hereinkommen und mich sehen. Pedantisch überprüfte ich anschließend den Sitz von Kleid und Slip vor dem Spiegel, bevor ich mich wieder hinauswagte. Hautenge Kleider war ich einfach nicht gewöhnt. Auf dem Weg zurück trödelte ich so gut es ging. Die Mozartsonate in Es-Dur war zufällig eines meiner Lieblingsklavierstücke, und es hatte wehgetan, mit anhören zu müssen, was Helen daraus gemacht hatte. Wenn ich nur langsam genug ging, war sie mit etwas Glück wieder bei »Für Elise« angelangt, bis ich zurück war.
    In der Zwischenzeit waren noch mehr Gäste angekommen. Sie standen in Gruppen beisammen, bis in den Flur hinaus. Am Fuß der Treppe unterhielten sich zwei Männer. Der eine war Onkel Thomas. Der andere war in etwa genauso alt, ein ziemlich gut aussehender Typ, wenn auch ein wenig zerknittert, sowohl im Gesicht als auch am Hemd. Und er trug Jeans! Das ging aber doch wohl gar nicht, oder? Hatte ihm denn niemand gesagt, dass Leos Großmutter Jeans verabscheute? Aber vielleicht war er am Ende der Landrat, dem Onkel Koksnase Thomas Geld für sein Filmprojekt aus den Rippen leiern wollte, und ein Landrat darf sich wahrscheinlich auch mal Jeans und ein zerknittertes Hemd erlauben. An einem Wochenende. Da ich nicht an ihnen vorbeikonnte, ohne mich zwischen ihnen hindurchzuschieben, blieb ich auf der Treppe stehen und hörte zu.
    »Es geht ja nur um vier Millionen Produktionskosten, ja, nur , du brauchst gar nicht die Augenbrauen hochzuziehen, das ist Low Budget, selbst wenn es noch mal fünfhunderttausend Mille mehr werden würden, du hast ja keine Ahnung, wie viel Geld sonst in Filme gebuttert wird.« Onkel Thomas sprach ganz schnell und befeuchtete sich nach jedem Zahlwort die Lippen, ebenfalls schnell, sodass er beim Sprechen aussah wie eine nervöse Schlange. »Und ich selber

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