In Wahrheit wird viel mehr gelogen - Erben bringen Glück
schön hell muss sie sein«, sagte ich.
»Das hatten wir aber schon! Ach, nun kommen Sie, das macht doch Spaß. Französische Fenster bis zum Boden, Stuck an den Decken, Fußbodenheizung und natürlich einenkleinen Balkon.« Frau Karthaus-Kürten sah mich abwartend an. Dann winkte sie enttäuscht ab. »Na gut. Lassen wir das mal so stehen und widmen uns dem Thema Lebensunterhalt. Es ist gut, dass Sie sich wieder selber um Ihren Lebensunterhalt kümmern wollen. Haben Sie auch schon mal über eine Arbeit nachgedacht? Eine Wohnung mit Kamin kostet ja nicht wenig.«
»Ich könnte wieder übersetzen«, sagte ich mit einem Seufzer.
Frau Karthaus-Kürten strich sich ihre Haare zurück. »Das könnten Sie natürlich. Aber halten Sie das nicht für eine Verschwendung Ihrer Möglichkeiten? Ich denke, mit Ihrer Ausbildung und Ihren Fähigkeiten dürften sich eine Menge Jobs finden lassen, mit denen Sie weit mehr verdienen.«
»Hm«, machte ich vage.
»Aber es ist auch noch zu früh, konkrete Pläne zu machen.« Sie strahlte mich an. »Ich wollte nur, dass Sie schon mal anfangen, Ideen in Ihrem Herzen zu bewegen. Es sei denn, das Erbe fiele so groß aus, dass Sie es nicht mehr nötig haben, arbeiten zu gehen.« Letzteres sagte sie in neutralem Tonfall, aber ich merkte genau, dass es eigentlich eine Frage sein sollte.
»Es kommt wohl darauf an, wie viel ich davon behalten kann. Ich habe auch noch nicht den genauen Überblick, um ehrlich zu sein. Aber im Augenblick bin ich fest entschlossen, mir so viel wie möglich unter den Nagel zu reißen.« Ich nahm die Zeitung mit der Anzeige für Karls Gegenbeerdigung aus meiner Tasche und legte sie vor Frau Karthaus-Kürten auf den Schreibtisch. »Und zwar deshalb !«
Frau Karthaus-Kürten stand zunächst eine Weile auf der Leitung, aber als ihr dann aufging, dass Karls Familie, dieselbe Familie, die seit Jahren mit ihm im Streit gelegen hatte, eine eigene Totenfeier abhalten wollte, war sie ehrlich empört,vielleicht sogar eine Spur mehr, als angemessen gewesen wäre. Ihre gute Laune schien wie weggeblasen.
»Also, wenn ich mir vorstelle, die Exfrau meines Mannes würde so eine Nummer abziehen …«, rief sie aus. »Zuzutrauen wäre es ihr. Aber den Tag würde sie nicht überleben, das kann ich Ihnen sagen.« Sie räusperte sich. »Also, was ich meine, ist, ähem, dass ich Ihre Mordgelüste vollkommen verstehen kann. Die sind ganz normal.«
»Ich habe keine Mordgelüste«, sagte ich. Oje, die Frau war bestimmt die schlechteste Psychotherapeutin der Welt. War ja wieder mal typisch, dass ich ausgerechnet an die geraten war.
»Sie müssen Ihre Wut nicht unterdrücken. Manchmal sind solche Gefühle durchaus angebracht. Und hilfreich können sie auch sein.«
»Aber ich bin nicht wütend.«
Frau Karthaus-Kürten guckte enttäuscht.
»Ich bin natürlich ein bisschen gekränkt «, räumte ich ein. »Und ich finde diese Sache entsetzlich geschmacklos. Aber – wenn die sich dabei besser fühlen, nun ja, sollen sie doch ihre peinliche Gegenveranstaltung abhalten …«
Frau Karthaus-Kürtens Augen funkelten angriffslustig. »Und alle Welt in dem Glauben lassen, Sie hätten überhaupt keine Rolle in seinem Leben gespielt?«
Hey! Was sollte das denn? War das ein Test, oder versuchte meine Therapeutin tatsächlich, mich aufzuhetzen? »Ach«, sagte ich wegwerfend, wobei ich mich um einen gleichgültigen Gesichtsausdruck bemühte.
Frau Karthaus-Kürten studierte wieder die Annonce. »Ein Leben für die Familie! Geliebter Ehemann … – Also, ich bewundere Sie, dass Sie nicht mal den Wunsch verspüren, das richtigzustellen.« Ja, sie versuchte mich aufzuhetzen, ganz klar.
Ich zuckte mit den Achseln. »Die Menschen glauben ja ohnehin immer nur, was sie glauben wollen.«
»Ja, das stimmt wohl. Trotzdem könnte ich wohl nicht widerstehen, bei dieser sogenannten Trauerfeier vorbeizuschauen.« Frau Karthaus-Kürten strich sich die Haare aus der Stirn. »Zumal das Beerdigungsinstitut Hellmann gleich hier um die Ecke liegt.«
»Tatsächlich?«
»Hegemannstraße, ja. Wenn Sie an der Hauptstraße weiter Richtung Innenstadt gehen, ist das die zweite Straße rechts.«
»Ach.«
»Ja! Ein merkwürdiger Zufall, oder?«
»Meinen Sie?«
Frau Karthaus-Kürten lehnte sich zurück. »Also, jetzt mal ganz ehrlich. Wenn Sie mich fragen: Ich glaube nicht an Zufälle. Ich bin – äh – Wissenschaftlerin.«
»Das heißt, Sie glauben, es ist irgendwie wissenschaftlich – in Ihrem Fall ja wohl
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