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In Wahrheit wird viel mehr gelogen - Erben bringen Glück

Titel: In Wahrheit wird viel mehr gelogen - Erben bringen Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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zu mir gewesen, oder? Ich meine, er hatte mir das Gefühl gegeben, nicht gut genug für ihn zu sein, und er hatte mich »seltsam« und »labil« und eine notorische Lügnerin genannt. Und ganz offensichtlich waren seine Schwestern und seine Mutter ihm viel wichtiger gewesen als ich, und dann hatte er noch … – okay, ich geb’s zu, verglichen mit dem, was ich getan hatte, waren das alles Peanuts. Ich hatte nicht nur mit seinem Vater geschlafen, ich hatte ihn auch noch geheiratet und anschließend beerbt. Die wenigsten Männer würden da großzügig drüber wegschauen, denke ich.
    Ich hatte in den vergangenen fünf Jahren öfter darüber nachgedacht, mich bei Leo zu entschuldigen. Ich hatte auch mehrfach einen Brief an ihn angefangen. Aber es gibt wohl Dinge, für die man sich nicht wirklich entschuldigen kann. Und bei allem, was ich hätte schreiben können, wäre es von Leo wahrscheinlich nur als weitere Verhöhnung wahrgenommen worden. Es tut mir leid, dass ich mich Hals über Kopf in deinen Vater verliebt habe. Es tut mir leid, dass ich jetzt mitreden kann, wenn jemand von der großen Liebe spricht. Es tut mir leid, dass ich glücklich bin. Es tut mir leid, dass ich endlich jemanden gefunden habe, der mich so liebt, wie ich bin.
    In meiner Idealvorstellung war eine Wiederbegegnung immer ungefähr so abgelaufen: Variante 1: Leo ist in Schwierigkeiten (in einem Rechtsstreit ist er in den Fokus der Russenmafia geraten und muss fliehen), und während alle anderen sich ängstlich aus der Sache heraushalten, helfen Karl und ich ihm selbstlos (mit Hilfe von Karls Kontakten und meiner Genialität) aus der Patsche. Anschließend fällt Leo uns dankbar in die Arme und sagt, dass nun alles vergeben und vergessen sei. Variante 2: Leo ist sterbenskrank und braucht eine Niere, Karl will ihm sofort eine von seinen spenden, aber leider ist er als Spender nicht kompatibel. Und deshalb spende ich Leo eine von meinen Nieren und rette ihm damit das Leben. Im Aufwachraum werden wir beide nebeneinandergeschoben, und Leo sieht mich an und sagt: »Bitte verzeih mir, dass ich dich für eine unmoralische Schlampe gehalten habe.«
    Es gab noch ein paar weitere Varianten, aber in keiner klebte mir das Haar unvorteilhaft an der Kopfhaut fest, in keiner Variante war ich total verheult, und selbstverständlich waren meine Schuhe auch nicht voller Hundekacke. Tja, aber das Leben ist kein Wunschkonzert, wie mein Vater immer zu sagen pflegte.
    Leo allerdings hätte nicht besser aussehen können. Über dem gut sitzenden Anzug trug er einen feinen schwarzen Wintermantel, und der Regen hatte seiner Frisur nichts anhaben können. Er sah so gut aus, dass die Rentnerin neben mir leise sagte: »Aber Schätzchen, vor so einem Mann läuft man doch nicht davon.«
    Jetzt war es dazu ohnehin zu spät.
    »Du bist es also wirklich«, sagte er und musterte mich gründlich von Kopf bis Fuß. Dann sah er sich kurz um – die gaffenden Rentner, die hübsche junge Frau im weißen Kittel hinter der Theke – und sagte höflich: »Guten Abend.«
    Ohne Witz: Alle erwiderten murmelnd seinen Gruß. Alle außer mir, natürlich.
    »Siebzehn fünfzig«, sagte die junge Frau zu dem meckrigen Rentner. Und der meckrige Rentner zückte sein Portemonnaie und zählte die Summe in Münzgeld auf den Tresen.
    Leo machte einen Schritt auf mich zu, und ich musste sehr an mich halten, um nicht automatisch einen Schritt zurück zu machen. »Ich habe dich im Beerdigungsinstitut an deinem Wintermantel erkannt. Es ist ja immer noch dasselbe alte Ding. Warum bist du weggelaufen?«
    Genau. Warum nur?
    Ich räusperte mich. »Ich dachte, das wäre vielleicht nicht der geeignete Ort für ein Treffen.«
    Leo nickte. »Und gerade eben? Ich dachte, du wärst vielleicht bei deiner Schwester im Laden und hättest Zeit für einen Cappuccino oder so. Aber du bist ja sofort abgehauen, als du mich gesehen hast.«
    »Ich habe dich gar nicht gesehen, ich musste nur noch schnell etwas in der Apotheke besorgen.«
    Leo zog seine Augenbrauen hoch. »Immer noch dieselbe zwanghafte Lügnerin, Carolin. Ist eine Art Krankheit, ich habdas aus Interesse mal recherchiert, aber jetzt fällt mir der Fachausdruck dafür nicht ein.«
    »Pseudologie«, sagte ich.
    »Du musst es ja wissen«, sagte Leo.
    »Wem kann ich weiterhelfen?« Neben der jungen Frau im weißen Kittel war mein Apotheker aufgetaucht. Wo war er denn vorhin gewesen, als ich ihn gebraucht hätte?
    »Ach, nö«, sagte der Rentner und kehrte sein ganzes

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