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In Wahrheit wird viel mehr gelogen - Erben bringen Glück

Titel: In Wahrheit wird viel mehr gelogen - Erben bringen Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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Karthaus-Kürten hatte gerade ihren Mantelangezogen und war dabei, sich einen Schal dekorativ um den Hals zu schlingen. »Frau Schütz! Haben Sie etwas vergessen?«
    »Ähm, ja«, keuchte ich. Ich brauche dringend eine Sondertherapiesitzung . Aber wenn’s geht, bei einem fähigen Therapeuten, nicht bei einem, der mich dazu anstachelt, Beerdigungsinstitute aufzusuchen, damit ich mich tödlich blamiere. »Haben Sie vielleicht meinen Schal gesehen?«
    »Welche Farbe hat er denn?«
    »Grün«, sagte ich, während ich durch die Türfenster nach draußen schaute. Niemand zu sehen.
    Frau Karthaus-Kürten durchwühlte hilfsbereit ihre Garderobe. »Nein. Nein, Frau Schütz, ich kann keinen grünen Schal finden. Es tut mir leid. Könnte es sein, dass Sie ihn woanders verloren haben?«
    »Ja«, sagte ich. »Das ist möglich. Entschuldigen Sie die Störung.« Jetzt kam ich mir endgültig total bekloppt vor. Sollte noch irgendwer Zweifel daran gehegt haben, ob ich wirklich eine Therapie benötigte – die hatten sich hiermit definitiv erledigt. Zur Engelchen-Teufelchen-Schizophrenie kam jetzt auch noch Verfolgungswahn dazu. Außerdem hatte ich einen Edding geklaut.
    Vor der Tür sah ich mich noch einmal gründlich nach allen Seiten um. Kein Leo weit und breit. Natürlich nicht. Als ob er mich durch die halbe Stadt verfolgt hätte. So was sah ihm auch gar nicht ähnlich. Viel zu vernünftig, der Mann. Wahrscheinlich glaubte er jetzt, er habe eine Fata Morgana gehabt. Der Bestatter hatte ihm ja erklären können, wen er in Wirklichkeit gesehen hatte: Beate Roser, Kirchenmusikerin. Leider unpünktlich, sonst kann man nichts Schlechtes über sie sagen. Außer vielleicht noch, dass sie mitten im Bewerbungsgespräch abgehauen ist. Nun ja, das wird wohl eine Absage geben für Frau Roser, denn das BeerdigungsinstitutHellmann war schließlich weit über die Stadtgrenzen hinaus für seine Exklusivität bekannt.
    Immerhin: Ich hatte das Plakat mit einem entscheidenden Hinweis verschönern können, und das freute mich diebisch. Schade, dass ich nicht dabei sein würde, wenn sie es entdeckten: Oer-Erkenschwick eingereiht in die Glamour-Großstädte dieser Welt. Durch den Regen schlenderte ich zurück zur Hauptstraße, dann machte ich kehrt und bog in eine Parallelstraße ein. Sicher war sicher. Leo könnte mit dem Auto dort entlangfahren und mich sehen – das wollten wir doch lieber vermeiden. Auf abenteuerlichen Nebenwegen und seltsam aufgekratzt näherte ich mich der Insektensiedlung, wobei ich zwei neue Straßennamen entdeckte, die endgültig bewiesen, dass die Städteplaner bei der Namensvergabe stockbesoffen gewesen sein mussten. Und wer wohnte gern in Straßen mit Namen »Wollkratblütenkäferweg« oder – noch besser! – »Kotwanzenstraße«? Ich kicherte und fotografierte die Straßenschilder mit meinem Handy, dann löschte ich die Bilder wieder, weil mir einfiel, dass ich sie Karl ja gar nicht zeigen konnte. Denn Karl war tot.
    Morgen wurde er ein zweites Mal beerdigt. Morgen war er sechs Wochen tot. Morgen hatte ich unvorstellbare sechs Wochen ohne ihn gelebt.
    Übergangslos begann ich zu weinen. Regen und Tränen strömten über mein Gesicht, und mein Blick war zu verschwommen, um noch Straßenschilder zu lesen, geschweige denn, mich darüber zu amüsieren. Überhaupt war es längst stockdunkel geworden, an diesem nassen, kalten Novemberabend. Hier, abseits der Geschäfte, waren nur die Fenster der Wohnhäuser erleuchtet, weihnachtlich dekoriert mit Sternen, Kerzen und Engeln, und zu jedem Fenster gehörte ein glückliches Paar, eine glückliche Familie oder wenigstens eineglückliche Frau mit einer Katze. Ich war die Einzige auf der Welt, die allein war.
    Und genau, als ich das dachte und mit tränenblinden Augen und einem Nervenzusammenbruch sehr nahe vorwärts stolperte, trat ich in einen Hundehaufen.
    Ich hörte auf zu weinen, stattdessen begann ich zu fluchen. Denn in all meinem Elend war mir schlagartig klar geworden, dass ich hier nicht die Verrückte war, sondern dass es das Leben war, das dringend eine Therapie benötigte.
    Ich wischte die Schuhe im Gras ab, so gut ich konnte, aber der Hundehaufen schien von einem Hund so groß wie ein Kamel zu stammen, und die Kacke klebte wirklich überall und stank überdies erbärmlich. Schließlich gab ich es auf und ging wütend weiter. Na gut! Dann würde ich mir jetzt eben ein Paar neue Schuhe kaufen. Ein Paar Santinis. Die teuersten, die sie dahatten.
    Auf dem Weg trat ich mit

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