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In Wahrheit wird viel mehr gelogen - Erben bringen Glück

Titel: In Wahrheit wird viel mehr gelogen - Erben bringen Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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sagte Helen. »Sie kann ganz toll fotografieren. Sie hat auch tolle Fotos von mir gemacht. Ich bin Model, wissen Sie? Deshalb kommt Ihnen mein Gesicht auch so bekannt vor. Wahrscheinlich haben Sie mich schon mal in einer Zeitschrift oder auf einem Plakat gesehen. Oder im Fernsehen. Im Augenblick ist mein Gesicht überall in der Straßenbahn zu sehen – für diese Kampagne gegen Schwarzfahren.«
    »Verdünnisier dich. Kratz die Kurve. Mach dich vom Acker«, sagte das Teufelchen. Das Engelchen schnappte nur nach Luft.
    Leo hatte die Bilder abgelegt, steckte nun beide Hände in die Taschen seiner Anzughose und sah sich um. Er trug die blonden Locken so kurz geschnitten, dass man gar nicht mehr erkennen konnte, dass es Locken waren. Ich konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen, aber der Anzug sah teuer aus und saß verdächtig gut, so dass ich nicht annahm, dass er ihn bei C & A gekauft hatte. Leos Blick verweilte auf der riesigen Stoffahne, und ich hielt es für ausgeschlossen, dass er die eingefügten Buchstaben nicht sah. Aber er sagte nichts.
    »Der Blumenschmuck und die Kerzen werden morgenVormittag arrangiert«, sagte der ältere Bestatter. »Und die Musik hat uns Ihr Herr Onkel bereits zukommen lassen.«
    »Hoffentlich ist kein Bach dabei. Wir hassen Bach, und ich habe ihm mindestens zehnmal gesagt, dass wir das nicht wollen«, sagte Helen.
    »Nein, Bach ist meins Wissens nicht dabei«, sagte der jüngere Bestatter. »Es ist insgesamt mehr moderne Musik. Die Eagles und Pink Floyd und …«
    Helen lachte mit zurückgeworfenem Kopf. »Na, was Leute in Ihrem Alter eben so modern nennen, nicht wahr?«
    »Und es sind wirklich genug Stühle?« Leo machte Anstalten, sich weiter herumzudrehen. Endlich kam wieder Leben in mich. Ich rutschte ans Ende der Bank und stand auf. Waaah! Zu spät. Jetzt hatte er mich gesehen. Aber Leos Blick glitt achtlos über mich hinweg. Möglicherweise hielt er mich für eine Statue, denn ich war erneut zur Salzsäule erstarrt. »Wir haben über hundert Zusagen.«
    »Wir stellen ja noch zwei Reihen dazu«, sagte der ältere Bestatter. »Aber die Stühle werden morgen früh noch nebenan für eine andere Veranstaltung benötigt, weshalb das Umräumen erst morgen Mittag vonstatten gehen kann. Ich hoffe, Sie haben dafür Verständnis.«
    »Natürlich«, sagte Leo. Oh mein Gott! Sein Gesicht. In meiner Erinnerung hatte er ganz anders ausgesehen. Ein hübscher blonder Junge, der hübscheste Junge weit und breit, mehr hatte ich mir nicht gemerkt. Jetzt aber erkannte ich, dass er große Ähnlichkeit mit Karl hatte. Die Kopfform mit der hohen Stirn, die leicht nach unten gebogene Nase, das kräftige, energische Kinn, die Form der Lippen … – alles war so vertraut. Und mir wurde klar, dass ich – unter anderem Umständen – ein Wiedersehen sehr begrüßt hätte. Wie gesagt, unter anderen Umständen. Und ganz sicher nicht hier und jetzt.
    »Verpiss dich endlich«, brüllte das Teufelchen auf meiner Schulter.
    Ich schüttelte meine Erstarrung ab und machte ein paar Schritt rückwärts, Richtung Tür.
    »Dreh dich doch um, du Doofi«, zischte das Teufelchen. Es hatte Recht. Wenn überhaupt, würde Leo nur noch meine Kehrseite durch die Tür verschwinden sehen, und die würde er wohl kaum erkennen.
    »Frau Roser! Wo wollen Sie denn hin?«
    Ich antwortete nicht. Schließlich war ich ja nicht Frau Roser. Ich machte nur ein Zeichen mit meiner Hand, von dem ich hoffte, dass es der Bestatter als »Ich muss nur mal schnell auf die Toilette« interpretieren würde. Ich hatte die Tür fast erreicht, als ich Leos Stimme hörte.
    »Carolin?« fragte er ungläubig.
    »Weiter!«, zischte das Teufelchen, als ich spontan stehen blieb.
    »Nein, das ist Frau Beate Roser«, hörte ich den Bestatter sagen. Ich war schon im Foyer, wo ich die Schritte beschleunigte und zu rennen anfing. Die Eingangstür aufzureißen und die Treppe hinunterzuspringen, war eins.
    »Carolin!«, rief Leo hinter mir. Offenbar hatte er dem Bestatter nicht geglaubt, dass mein Name Beate Roser war. Ich rannte los, ohne mich umzusehen. Ich sprintete zur Hauptstraße zurück und raste den Bürgersteig entlang, wobei ich einen Dackel übersprang und eine ältere Dame fast umrannte. Ich hielt nicht ein einziges Mal inne, um mich umzusehen, ich rannte einfach nur, wie Franka Potente in »Lola rennt«. Vollkommen außer Atem erreichte ich schließlich Frau Karthaus-Kürtens Praxis und stürzte durch die Haustür in den Flur hinein.
    Frau

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