In Wahrheit wird viel mehr gelogen - Erben bringen Glück
Trudi hinüber. Na? Immer noch nicht schwul?
Trudis Meinung war immerhin ins Wanken geraten. Aber so richtig überzeugt war sie erst, als der Apotheker nach einem Paar lila Pumps griff und sagte: »Wie wär’s denn mit denen? Die sind doch einfach nur affenscharf, finde ich.«
»Wenn du das sagst!« Ich lächelte Trudi triumphierend an. »Wie teuer sind die denn? Ach egal! Ich kaufe sie einfach. Schließlich bin ich eine reiche Erbin.«
Das Erbe allerdings ließ weiterhin auf sich warten. Die Anwälte schienen es nicht so eilig zu haben wie ich, und außerdem zögerten Briefe von Onkel Thomas’ Anwalt die Angelegenheit immer weiter hinaus. So vergingen der Februar und die erste Hälfte des Märzes ohne nennenswerte Veränderungen. Die Universität von St Gallen, die immer noch auf meine Abschlussarbeit wartete, wurde mit weiteren Attesten über meine Arbeitsunfähigkeit vertröstet, die nette Maklerin konnte trotz größter Bemühungen keine Zweizimmerwohnung mit offenem Kamin für mich finden, und Mimi blieb weiter schwanger und grantig. Frau Karthaus-Kürten sagte zwar jede Woche, dass wir daran arbeiten müssten, herauszufinden, was ich vom Leben wirklich wolle, besonders in beruflicher Hinsicht, aber sie tat leider nichts, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. (Ich hatte auch nichts anderes erwartet.) Dafür funktionierte die Rosa-Kärtchen-Therapie ganz toll, ich konnte immer zehn und mehr Tätigkeiten vorweisen, die mich zumindest für den Zeitpunkt ihrer Dauer glücklich gemacht hatten. (Na ja, »glücklich« ist vielleicht etwas hochgegriffen.) Ich las wieder Bücher, trank öfter Cappuccino, spielte Mandoline, und Constanze und Trudi nahmen mich zweimal in der Woche an Mimis Stelle mit zum Joggen.
Und dann verbrachte ich ja auch nicht gerade wenig Zeit mit dem Apotheker. Zuerst gingen wir nur zusammen ins Kino, aber später trafen wir uns auch einfach nur so. Manchmal gingen wir irgendwo was trinken, manchmal spazieren, manchmal saßen wir nur auf der Couch und schauten uns Germany’s Next Topmodel an. (Das durfte ich bei Mimi und Ronnie zu Hause nicht sehen – Mimi sagte, davon würden ihr leider immer die Gehirnzellen absterben.) Der Apotheker wohnte in einer sehr schön (war ja klar!) eingerichteten Wohnung über der Apotheke. Sie war klein, aber hell, und sie hatte Fußbodenheizung, ein Bad mit Fenster und einen großen Balkon nach hinten heraus, und wenn sie auch noch einen Kamin gehabt hätte, wäre sie meine absolute Traumwohnung gewesen.
Mit Justus konnte man sehr gut reden, viel besser als mit Frau Karthaus-Kürten und sogar besser als mit Mimi (die ja im Augenblick in einem fort aufstoßen und das Klo im Auge behalten musste und daher nicht die aufmerksamste Zuhörerin war). Ich erzählte ihm alles über Karl, Leo und meine Kindheit als Alberta Einstein, und im Gegenzug erzählte er mir von seinem viel zu strengen Vater, seinem alkoholabhängigen kleinen Bruder und seiner Mutter, die gestorben war, als Justus vierzehn war. (Womit geklärt war, woher er seinen Helferkomplex hatte.) Er hatte die Apotheke erst im letzten Jahr von seinem Vater übernommen, und es gab eine Menge Altlasten, mit denen er sich herumschlagen musste, außerdem Ärger mit dem Finanzamt. Nach besonders düsteren Gesprächen hatten wir uns angewöhnt, die rosa Karten von Frau Karthaus-Kürten hervorzukramen und zum Anheben der Stimmung auf der Stelle eins der Dinge zu tun, die dort aufgelistet waren.
Justus meinte, dank Frau Karthaus-Kürtens neuartiger Therapiemethode fühle er sich auch schon viel besser, vor allem das Kärtchen »Tina endlich mal die Meinung sagen« habe seine seelische Entwicklung gleich um Lichtjahre vorwärtsgebracht.
»Was denn, du machst meine Therapie auch, wenn ich nicht dabei bin?«, sagte ich. »Das ist aber nicht nett.«
»Du fährst ja auch ohne mich ans Meer«, sagte der Apotheker, und da seufzte ich und vergaß ganz zu fragen, wer denn Tina sei.
Meine Mutter hatte mich zu einer vierzehntägigen Reise nach Mallorca eingeladen – zur Mandelblüte. Aber erstens war die Mandelblüte schon längst vorbei, als wir ankamen, und zweitens waren meine Schwägerin Kreissäge und ihre Tochter Eliane auch mit dabei. Letzteres hatte ich nicht gewusst (sonst hätte ich die Einladung nicht angenommen), und meine Mutter behauptete, sie habe es auch erst in allerletzter Minute erfahren.
»Sie wollte uns überraschen«, zischte sie mir zu, als ich die Überraschung am Flughafen nicht mit der
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