In Wahrheit wird viel mehr gelogen - Erben bringen Glück
dass Sie danach nicht doch noch mit dem Testament von Tante Jutta ankommen und Ansprüche erheben?«
»Oh – Schätzelchen, du musst nicht so misstrauisch sein.« Onkel Thomas machte ganz treue Hundeaugen. »Ich verspreche dir, sobald ich die Sachen habe, werde ich das Testament vor deinen Augen in winzig kleine Fetzen zerreißen. Ich bin doch selber heilfroh, wenn wir die Sache endlich hinter uns gebracht haben.«
Ich nickte ein paarmal vor mich hin. »In Ordnung. Ich bin einverstanden. Wir gehen heute Abend in die Villa und räumen den Safe leer. Kommen wir denn da überhaupt unbehelligt rein – wegen der Alarmanlage, meine ich.«
»Ja, ja, das geht schon. Ich habe ja einen Schlüssel und Leos Erlaubnis, das Haus zu betreten. Aus sentimentalen Gründen,sage ich immer. Schließlich bin ich darin groß geworden. Warum fahren wir nicht sofort hin?«
»Oh, das geht leider nicht. Ich muss heute noch den ganzen Tag arbeiten.«
»In Ordnung. Dann gebe ich dir meine Karte, und du rufst mich auf dem Handy an, wenn du fertig bist. Mein Porsche und ich kommen dich dann abholen.« Onkel Thomas rieb sich die Hände. »Das wird ein Spaß.«
Ja, ich freute mich auch schon diebisch.
»Der beste Lügner ist der,
der mit den wenigsten Lügen
am längsten auskommt.«
Samuel Butler
Als Onkel Thomas gegangen war, blieb ich eine Weile vor der Apotheke stehen und starrte ins Leere. So lange, bis Justus herauskam und fragte, was mit mir los sei. Ich sagte ihm, dass ich gerade dabei sei, einen inneren Kampf auszufechten.
»Mit Engelchen und Teufelchen?«, fragte Justus.
Ich schüttelte den Kopf. »Eigentlich sind es zwei Teufelchen, die sich streiten. Gerade hat sich mir eine wunderbare Gelegenheit geboten. Sozusagen auf dem Tablett. Die Gelegenheit, auf einen Schlag reich zu werden und ein bisschen Vergeltung zu üben.«
»Und was gibt es da zu überlegen?«
»Nun ja – das eine Teufelchen will gemein und fies sein, und das zweite will zusätzlich noch kriminell werden. Im Wesentlichen geht es darum, ob ich es allein mache – oder ob ich Leo anrufe.«
»Er war beim letzten Mal nicht besonders nett zu dir«, sagte Justus.
»Das stimmt. Auf der anderen Seite – inzwischen hatte er ja genug Zeit, darüber nachzudenken, wie schlecht er sich benommen hat.«
Justus sagte nichts.
»Ja, ich weiß. Das ist eher unwahrscheinlich.« Ich nagte an meiner Unterlippe. »Aber ich werde ihn trotzdem anrufen. Dann brauche ich mir später nichts vorzuwerfen.«
Der Apotheker legte mir den Arm um die Schulter und drückte mich an sich. »Brauchst du meine Hilfe?«
»Nein, das schaffe ich allein.«
»Gut. Aber es ist nichts Gefährliches, oder?«
»Nein.« Ich musste lachen.
»Also muss ich mir keine Sorgen machen?«
»Nein, musst du nicht.«
Justus ließ mich los und zupfte meine zerzausten Haare wieder in Form. »Und wenn du reich bist, gibst du mir was ab?«
»Auf jeden Fall«, sagte ich und lachte.
»In Ordnung. Dann los – mach das Gemeine und Fiese. Ich rufe dich aber alle halbe Stunde auf dem Handy an, sicher ist sicher.«
Ach, der Apotheker. Mein Freund. Er war so ein lieber Kerl, wie er da stand in seinem weißen Kittel und fröhlich in die Sonne blinzelte. Wieder einmal kamen mir urplötzlich die Tränen. »Weißt du, ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, wie ich ohne dich leben sollte«, sagte ich.
»Ich liebe dich auch«, sagte Justus leichthin. »Aber deshalb musst du ja nicht gleich heulen. Oh, nein, drinnen ist alles voller Kunden. Ich muss wieder zu Janina.« Er beugte sich vor und gab mir einen Kuss. »Bis später, ja? Du schaffst das alles!«
Justus hatte mich schon öfter geküsst, aber noch nie auf den Mund. Ich war ein bisschen schockiert, versuchte aber, es mir nicht anmerken zu lassen. »Ja, bis später«, sagte ich nur.
Später würde ich dann darüber nachdenken, ob es schwulen Männern erlaubt sein dürfe, Frauen auf den Mund zu küssen. Das war ja so ähnlich, wie jemandem eine köstliche Erdbeertorte unter die Nase zu halten und sie dann selber zu essen. (Oder jemand anderem zu geben.) Sollte ich das Thema mal bei meiner Therapeutin auf die Tagesordnung setzen? Wir hatten in letzter Zeit so viele Probleme gelöst, da konnten wir doch gut mal wieder ein neues vertragen. Warum nicht mal: Hilfe, ich bekomme beim Kuss meines schwulen besten Freundes weiche Knie? Frau Karthaus-Kürten hatte dazu bestimmt eine ganz tolle Theorie. Aber wie gesagt, darüber würde ich später nachdenken. Jetzt musste
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