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In weißer Stille

In weißer Stille

Titel: In weißer Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
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dem Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts untergebracht, und hin und wieder überkam Dühnfort das Gefühl, hier sei die Zeit stehengeblieben. Er betrat die Abteilung durch eine Tür mit Milchglasscheiben. Seine Schritte hallten auf dem abgetretenen Steinboden nach; es roch nach Formalin, Putzund Desinfektionsmitteln, und von irgendwoher zog der Geruch von Pizza durchs Gebäude. Es war Mittagszeit. Er drückte die Schwingtür auf und betrat Ursula Weidenbachs Reich, einen gekachelten Raum, in dem er immer fror. An der Wand hing eine Uhr, die ihn an Bahnhof erinnerte. Eine Waage mit digitaler Leuchtanzeige stand darunter, daneben hing eine Schädelsäge an einem Haken an der Wand. Die Sonne schien zum Fenster herein und warf ein Muster von verzerrten Rechtecken auf einen leeren Stahltisch. Auf dem Tisch daneben lag der nackte Leichnam von Bertram Heckeroth.
    Ursula Weidenbach stand darüber gebeugt und entfernte die Plastiktüten, mit denen die Spurensicherer die Hände des Toten geschützt hatten. Sie griff nach einer starken Lupe, die an einem schwenkbaren Arm hinter dem Tisch befestigt und mit einer Leuchte ausgestattet war, und platzierte sie über der rechten Hand. Als sie Dühnforts Schritte hörte, blickte sie über den Rand ihrer Brille und lächelte ihn an.
    Ich könnte hier liegen, schoss es Dühnfort durch den Kopf. Wenn ich gestern nicht so schnell reagiert und sie mir das Messer in den Hals gerammt hätte … verbluten ging schnell. Wie band man eine Halsschlagader ab? Ging das überhaupt? Ihn fröstelte, er sah seinen Körper nackt und kalt auf diesem Stahlbett liegen; sein Gourmet-Sixpack, wie Agnes sein Bäuchlein nannte, die schlaffen Muskeln und sein entblößtes Geschlecht schutzlos den forschenden Blicken Ursula Weidenbachs ausgeliefert.
    »Ist alles in Ordnung? Ihnen wird doch beim Anblick einer Leiche nicht schlecht?« Ursula Weidenbach musterte ihn besorgt. »Kotztüten haben wir nicht.«
    Er verscheuchte diese Bilder, diese Gedanken. »Da habe ich schon Schlimmeres gesehen. Hat er sich wirklich selbst erschossen?«
    »Bis jetzt habe ich keine Zweifel.« Sie wandte sich wieder der Leiche zu. »Sehen Sie selbst.«
    Dühnfort stellte sich neben sie und betrachtete die Hand durch die Lupe. Die Schmauchspuren waren deutlich erkennbar.
    »Auch die Lage der Waffe zur Position der Hand stimmt. So wie es aussieht, hat er sie gehalten und abgefeuert. Aber die eigentliche Arbeit fängt erst an. Also nageln Sie mich bitte noch nicht fest, auch wenn ich denke, dass wir hier keine Überraschungen erleben werden.«
    Mittlerweile glaubte Dühnfort das auch. Bertram hatte mehrfach geäußert, er wolle sich umbringen, falls er sein Haus verlieren würde. Das Motiv war nicht ungewöhnlich. Zuerst war die Firma den Bach runtergegangen, diesem Schlag war eine Steuerprüfung gefolgt und anschließend ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung, inklusive Verurteilung. Bertram hatte langsam und stetigden Boden unter den Füßen verloren und war in dieses tragische Ende gerutscht, als sei er im Treibsand versunken. Falls er seinen Vater wegen des Erbes ermordet hatte, um dann festzustellen, dass es dieses Erbe nicht gab … Bertram hatte weiß Gott Gründe für einen Suizid.
    Dühnfort störten allerdings zwei Dinge. Es gab keinen Abschiedsbrief, was eher untypisch war. Außerdem fehlte seiner Meinung nach das Glas Whiskey oder Schnaps. In der Regel tranken sich Selbstmörder vor ihrer Tat Mut an.
    Er rief Alois an. »Habt ihr doch noch einen Abschiedsbrief gefunden?«
    »Nein.«
    »Und eine Flasche Schnaps oder Whiskey?«
    »Nein. Wieso? Denkst du, es war doch kein Selbstmord?«
    »Ich weiß nicht. Irgendwie habe ich kein gutes Gefühl bei der Sache.«
    »Die Spurenlage ist aber eindeutig. Schmauchspuren an der Hand, die Waffe an der richtigen Stelle, und er steckte bis zum Hals in der Scheiße … also wenn der keinen Grund hatte …«
    Dühnfort machte sich unnötig Gedanken, wie so oft. Wenigstens lief die Untersuchung von Bertrams Suizid wie eine Mordermittlung ab. Falls daran also etwas nicht koscher war, waren wenigstens alle Spuren gesichert, und sie hatten nichts versäumt. Er verabschiedete sich von Alois und sah auf die Uhr. Schon kurz vor eins.
    Ursula Weidenbach unterbrach ihre Arbeit. »Ich melde mich gegen Abend, wenn ich hiermit fertig bin.« Sie wies auf den Leichnam. »Die toxikologischen Untersuchungen dauern allerdings noch ein Weilchen.«
    Dühnfort machte sich auf den Weg zur U-Bahn. Unterwegs

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